Seelensunde
und die Wasserflasche heraus und hielt sich lange dabei auf, sich die Hände zu säubern. Schließlich warf sie die Kofferraumklappe zu und ging, während sie sich die Hände abtrocknete, um den Wagen. Die Seitenfenster spiegelten die nächtliche Umgebung hinter ihr wider. Erneut sah Naphré dieses verräterische Aufblitzen. Wer immer es war, in der Kunst der Beschattung war er schlecht oder gar nicht geschult.
Kaum eine Minute später hatte sie ihn entdeckt. Ein Mann, einen Meter fünfundsiebzig groß oder etwas darüber, ganz in Schwarz gekleidet, kam vorsichtig hinter einem Baum in der Nähe des Friedhofzauns hervor.
Naphrés Puls ging ein wenig schneller, aber sie blieb bei aller Anspannung ganz locker. Der Kerl brauchte nicht zu merken, dass sie ihn schon entdeckt hatte. Folglich tat sie weiterhin so, als wäre sie noch mit der Reinigung ihrer Hände beschäftigt, während sie ihn im Spiegel der Autoscheiben keine Sekunde aus den Augen ließ.
Hätte sie nach ihrem Messer gegriffen, das hinten in ihrem Gürtel steckte, hätte sie sich verraten. Aber vorn im Hosenbund steckte die Glock, die sie Butcher abgenommen hatte. Also brachte sie die Hände unauffällig in die Nähe des Griffs, der aus ihrem Gürtel ragte.
Den Mann hinter ihr zu töten, wäre keine Schwierigkeit gewesen. Die Waffe ziehen, sich umdrehen, zielen, schießen, allesin einer Bewegung und in weniger als einer Sekunde, das beherrschte Naphré dank ihres intensiven Trainings im Schlaf. Mit großer Wahrscheinlich würde der erste Schuss schon sitzen. Der zweite würde nur zur Sicherheit noch folgen. Doch sie hatte nicht vor zu schießen. Mit einer Kugel im Kopf konnte ihr der Unbekannte keine Antworten mehr geben, und sie musste unbedingt wissen, was er von ihr wollte.
So wartete Naphré auf die Bewegung, die er als Nächstes machen würde. Wirklich wagte er sich nun weit genug hervor, dass sie sehen konnte, wie das Mondlicht auf seinem Schädel schimmerte. Er bewegte sich kaum, starrte sie dabei aber so intensiv an, dass sie das Gefühl hatte, seinen Blick wie Ameisen auf der Haut zu spüren.
Sie behielt vor allem seine Hände im Auge, war bereit, auf das geringste Anzeichen einer Bedrohung zu reagieren. Aber es kam nichts. Langsam und vorsichtig trat der andere den Rückzug an. Als er sich umdrehte und Naphré im Mondlicht in voller Länge sein Körperprofil sah, war die Überraschung perfekt. Der heimliche Beobachter hatte Brüste. Es war kein Mann, sondern eine Frau.
Im Nachhinein vielleicht doch keine so große Überraschung. Es musste die kahlköpfige Setnakht-Priesterin sein, von der Butcher erzählt und die ihn beauftragt hatte, sie zu liquidieren, und selbst so gern daran mitgewirkt hätte. Entweder hatte Butcher sie doch angerufen, oder sie war ihnen von sich aus gefolgt. Jedenfalls wusste sie nun, dass nicht sie, Naphré, sondern Butcher dem Coup zum Opfer gefallen war, und das war sehr ärgerlich.
Naphré überlegte, was das Klügste war. Die Setnakht-Frau zur Strecke zu bringen, sicherlich nicht. Dann erfuhr sie nie etwas über die Hintergründe dieses merkwürdigen Komplotts. Sie konnte sie verfolgen und zur Rede stellen. Aber dagegen sprach, dass der Kampf mit Butcher und alles, was danach geschehen war, sie ermüdet hatten. Naphré fühlte sich nicht mehr auf den Punkt fit und fürchte, infolgedessen Fehler zu machen.
Das Beste war abzuwarten. Es würde sich schon noch eine Lösung des Problems ergeben. Morgen war auch noch ein Tag.
Die Frau war weg. Naphré setzte sich ans Steuer und fuhr los. Die Nacht war für sie noch lange nicht zu Ende. Zu Hause würde sie sich nach einer heißen Dusche noch an den Computer setzen und versuchen, etwas über die Setnakhts und ihre Priester in Erfahrung zu bringen.
Eine Stunde später sank Naphré eingemummelt in einen rosa Flanellschlafanzug erschöpft auf ihre Couch. Ihr Haar war noch feucht, und das Herz war ihr schwer. Sie hatte sich unter der Dusche zweimal von Kopf bis Fuß eingeseift und sich zweimal das Haar shampooniert, aber irgendwie kam sie sich immer noch dreckig vor.
Dazu spürte sie nach wie vor diese leichte elektrische Spannung in der Atmosphäre, sodass sich ihr ständig die Härchen auf den Unterarmen aufstellten, als wäre Alastor Krayl noch immer in der Nähe.
Naphré starrte mit leerem Blick vor sich hin. Butcher war tot. Gestorben durch ihre Hand. Sechs Jahre lang waren sie praktisch unzertrennlich gewesen. Sie hatten zusammen gearbeitet, gekämpft, gelacht. Und
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