Seelensunde
nun war er nicht mehr. Nicht nur, dass sie ihn getötet hatte, sie hatte auch noch zulassen müssen, dass sich ein Seelensammler seiner Seele bemächtigte und die jetzt ihre Reise in Sutekhs finsteres Reich antrat. Nach „Ruhe in Frieden“ sah das nicht aus. Verdammter Mist! Aber sie hatte keine andere Wahl gehabt. Sutekhs Sohn hatte nicht mit sich handeln lassen.
Auf dem Friedhof war ihr kurz der Gedanke gekommen, den Dämon zu beschwören, der ihre Seele besaß, und ihn dazu zu bewegen, von Krayl die Herausgabe von Butchers Seele zu fordern. Aber da hatten sich ein paar Schwierigkeiten ergeben. Um einen Dämon zu beschwören, hätte sie einen Kreis aus Salz streuen müssen. Einige Kerzen waren dazu nötig, ein Spritzer von ihrem Blut und schließlich die dünne, gravierte Goldoblate,die sie von „ihrem“ Dämon in jener Nacht erhalten hatte, als sie ihm ihre Seele übereignet hatte. Wenn sie auch auf alle möglichen Eventualitäten vorbereitet gewesen war, darauf nicht. Außer dem eigenen Blut hatte sie nichts davon dabei gehabt.
Abgesehen davon war sie sich nicht einmal sicher, ob sie ihn hätte beschwören können. Sie hatte es nie zuvor versucht. Die Jahre hindurch hatten die Zusammentreffen mit ihm stets auf seinen Wunsch hin stattgefunden, und wenn Naphré sie endlich hinter sich gebracht hatte, hatte sie kein Verlangen danach gehabt, diese Kreatur so bald wiederzusehen. Es lief so ab, dass er bei ihr auftauchte, ihr einen neuen Auftrag gab und nach ein paar Tagen wiederkehrte, um sich zu erkundigen, ob der Auftrag erledigt war. Meistens hatte sie den Job erledigt, manchmal aber auch nicht. Es hing davon ab, ob sich der Einsatz mit ihren Moralvorstellungen deckte. Sie war ein Auftragskiller mit Skrupeln. Geradezu lächerlich.
Ihr Herr und Meister war verständlicherweise wenig erbaut von dieser Art der Arbeitsauffassung. Als sie das erste Mal einen Einsatz abgelehnt hatte, war er fuchsteufelswild geworden. „Du wirst tun, was ich dir sage“, hatte er gefaucht, und sie hatten noch eine ganze Weile weiter gestritten. Aber Naphré war standhaft geblieben, und schien sich schließlich durchgesetzt zu haben. Denn danach hatte es nur noch Aufträge gegeben, die sie guten Gewissens ausführen konnte, Aufträge, die Personen betrafen, die in die Kategorie Drecksäcke fielen.
Ihr Dämon. Wäre sie vorher, bevor sie ihre Seele verpfändet hatte, gefragt worden, hätte sie sich einen Dämon sicherlich nicht so vorgestellt: als stämmigen, untersetzten Kerl, der, obschon von geradezu grotesker Hässlichkeit, aussah wie ein ganz normaler Mensch. Keine gespaltene Zunge, kein Bocksfuß, einfach ein etwas Furcht einflößend aussehender Typ mit einem zu großen Kopf und einem widerlich höhnischen Grinsen im abstoßenden Gesicht.
Naphré rieb sich die Oberarme, als würde sie frieren. Die unangenehm aufgeladene elektrische Spannung lag unverändert inder Luft. Es war genau dasselbe Gefühl, das sie auf dem Friedhof gehabt hatte, und das beunruhigte sie.
Sie stand auf, ging ans Fenster und schob vorsichtig den Vorhang ein Stück zur Seite. Ihr stockte der Atem. Die Schwingungen, die sie wahrgenommen hatte, waren keine Einbildung gewesen. Er war wirklich da.
Er stand unten auf der Straße und blickte zu ihrem Fenster hinauf. Der Schein der Straßenlaterne über ihm fiel auf sein strohblondes Haar. In Höhe seiner breiten Schultern entdeckte Naphré auch Butchers Schwarze Seele, die ihn noch immer begleitete.
Ärgerlich schob sie den Vorhang ganz zur Seite, stieß das Fenster auf und beugte sich heraus. „Was zum Teufel willst du hier?“, rief sie hinunter und hoffte im Stillen, dass keiner von ihren Nachbarn geweckt wurde und ihnen zuschaute.
„Du hast dir schon einen komischen Beruf ausgesucht“, meinte Alastor gelassen.
„Was ist los?“ Sie konnte es nicht fassen. Er konnte doch nicht hergekommen sein, um ihr Vorträge über ihren Lebenswandel zu halten. Es war zu absurd. Wie hatte er sie überhaupt aufgespürt? Sie war der Überzeugung gewesen, er hätte den Schauplatz auf dem Friedhof vor ihr verlassen und wäre seiner Wege gegangen. „Bist du mir gefolgt?“
Alastor zuckte nur die Schultern. „Du bist beobachtet worden.“
Naphré war außer sich. „Du willst mir doch nicht weismachen, dass du hergekommen bist, um dich zu vergewissern, dass ich heil nach Hause gekommen bin! Das kann nicht dein Ernst sein. Wir sind doch keine Teenager mehr.“
„Ich wollte nur mal sehen, wo du wohnst, damit ich
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