Seelensunde
wieder Butcher zuwandte. Dieses Mal war der Donner deutlich nähergekommen. Es war ein seltsam unnatürlicher, zorniger Klang. Alastor stutzte und fühlte sich leicht unbehaglich dabei.
Auch Naphré hatte aufgehorcht. Ihr Blick war auf einen Punkt oben am Himmel gerichtet, und es sah aus, als lausche sie einer Stimme und versuche, die Worte zu verstehen.
Doch danach herrschte Ruhe, und Alastor setzte seine Tätigkeit fort. Kalt und schleimig kam Butchers Schwarze Seele zum Vorschein und wickelte sich Alastor um den Arm bis zu seiner Schulter hinauf. Er war erleichtert. Er hatte schon befürchtet, er hätte zu viel Zeit verstreichen lassen. Dann hätte sich die Seele des Toten von sich aus auf die Reise in eines der jenseitigen Reiche gemacht, aus dem auch Sutekh sie nichthätte zurückholen können.
Es stand fest, dass Butcher etwas wusste, dass er in der Nacht, in der Lokan gestorben war, etwas gesehen hatte. Alastor selbst hatte nicht die Fähigkeit, mit der Seele zu reden und sie zu befragen. Das war Sutekh vorbehalten. Er hatte die Seele nur bei seinem Vater abzuliefern.
Alastor schlang das Feuerband um die unförmige, ölige Wolke, die sich wand und an dem hell leuchtenden Strick aus purer Energie zerrte, als wollte sie sich gegen ihr Schicksal wehren, das darin bestand, schließlich von Sutekh verschlungen zu werden und so jede weitere Existenz aufgeben zu müssen.
Mit Erstaunen stellte Alastor fest, dass Butchers Seele längst nicht so schwarz war, wie er erwartet hatte. Als Killer mochte Butcher zwar einem fragwürdigen Broterwerb nachgehen. Trotzdem hatte er in seinem verkorksten Leben einen Rest von Anstand bewahrt, der dem Ballon, der in Schulterhöhe neben Alastor waberte, ein wenig Glanz gelassen hatte. Normalerweise hätte sich Alastor mit so einer Seele nicht abgegeben und auch nicht gewagt, sie Sutekh anzubieten, der die teerschwarzen Happen liebte, die von Bosheit und Verdorbenheit trieften. Aber in diesem Fall ging es weniger um einen kulinarischen Leckerbissen als darum, was diese Seele Sutekh zu erzählen hatte.
Naphré starrte auf Butchers Schwarze Seele. Alastor registrierte, dass sie sie sehen konnte, und wunderte sich darüber. Den Augen der normalen Sterblichen blieb diese Erscheinung verborgen. Da aber Naphré eine Isistochter war, gehörte sie nicht mehr so ganz zu den normalen Sterblichen.
„Tu es nicht“, sagte sie schließlich.
„Tu was nicht?“, wollte Alastor wissen.
„Nimm seine Seele nicht.“ Es klang verletzt und auch ein wenig besorgt, wie sie es sagte.
„ Du hast ihn getötet“, erinnerte er sie.
„Ich weiß.“ Alastor hatte nicht begriffen, worum es ihr ging, und Naphré hatte offensichtlich keine Lust, es ihm zu erklären.
Er hätte sich gern von dem Blick aus ihren unergründlichendunklen Augen erweichen lassen, aber Butchers Schwarze Seele war einfach zu wichtig. Er brauchte jeden Fetzen Information, jeden noch so vagen Hinweis, der ihn zu Lokan führen konnte. Und Butcher hatte ganz sicher etwas gewusst, das ihm weiterhalf.
Ein weiteres Mal verspürte Alastor den unerklärlichen Wunsch, sie in die Arme zu nehmen. Er hob die Hand, um ihr die Wange zu streicheln, hielt aber mitten in der Bewegung wieder inne. „Ich würde dir den Gefallen gern tun, da du mich so nett darum bittest“, sagte er dann. „Aber dein Freund hier wusste von Dingen, die äußerst bedeutend für mich sind und die ich unbedingt in Erfahrung bringen muss.“
Sie waren hier fertig. Bevor Alastor aufbrach, meinte er noch: „Sei vorsichtig, wenn du weggehst. Da draußen lungert jemand herum.“
„Du sagst mir, ich soll vorsichtig sein?“ Naphré lachte. Sie hatte eine merkwürdige Art, das Kinn dabei einzuziehen, eine kleine Macke nur, die ihn aber fast um den Verstand brachte. Dass so eine Frau ein Auftragskiller sein sollte, war ihm schier unbegreiflich. Wie war sie bloß hineingeraten? Naphré Kurata war ihm ohnehin ein Rätsel. Eines, das er gerne knacken würde. „Meinst du den auf der anderen Straßenseite in dem Baum mit dem Zielfernrohr?“
„Zielfernrohr oder Feldstecher. Aber sie sind mittlerweile näher gekommen.“
„Hab ich gemerkt.“
Als sein Blick auf ihren Mund fiel, öffnete sie den Mund einen Spalt. Er merkte, wie sie den Atem anhielt, und kam ein Stück näher. Einen Kuss nur, bevor in Sutekhs finsteres Reich heimkehren musste.
Die flache Hand auf seiner Brust, hielt sie ihn zurück. „Lass das“, sagte sie in scharfem Ton. Gleichzeitig spürte
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