Seelensunde
einfach nicht auf und kämpfte weiter. Schwer atmend schlang er die Arme um sie unddrückte ihren Kopf an seine Schulter. Er war von einem Gefühl ergriffen, für das er keinen Namen hatte und das er sich nicht erklären konnte. Er kannte diese Frau doch kaum. Sie war eine Isistochter. Was konnte sie ihm schon bedeuten?
Vielleicht alles.
Dieser Gedanke kam wie aus heiterem Himmel, und er wusste nicht, was er damit anfangen sollte. Er hatte diese Gefühle nicht herbeibeschworen, er wollte sie nicht einmal. Das Beste war, sie dort zu verstauen, wo alle ungebetenen Emotionen bei ihm landeten: in einer dunklen Kiste tief in seinem Unbewussten. Eine Kette darum, ein Vorhängeschloss davor und fertig. Dann würde er wieder frei atmen und klare Gedanken fassen können.
Er hob den Kopf zu der noch immer offen stehenden Haustür. Die Shikome in ihrem Würmergewand stand noch da. Alastor hatte eine dunkle Ahnung, was sie wollte. Dennoch hielt er es für besser, sich zu vergewissern.
„Lass sie in Frieden“, fuhr er sie an.
„Ganz wie du willst, Sohn des Sutekh.“ Was sich bei ihr anstelle eines Munds öffnete, war nichts weiter als ein rundes Loch, das sich augenblicklich mit Spinnen und anderem Getiere füllte.
Alastor fühlte, wie ein Schauer Naphré durchfuhr.
„Hey“, sagte er sanft.
Mit einem Ausdruck unendlicher Erleichterung hob sie den Blick. Der Ausdruck war jedoch schnell verschwunden. Alastor wusste auf die Sekunde genau, wann ihr zu Bewusstsein kam, wo und in welcher Lage sie sich befand. Dass sie in seinen Armen lag wie ein Kind, das getröstet werden musste.
Allmählich beruhigte sich Naphré. Alastor war beinahe gerührt. Es war etwas Verbindendes zwischen ihnen, so etwas wie Seelenverwandtschaft.
Sie hielten beide gern die Zügel in der Hand. Was hatte Naphré noch gesagt? Kontrollfreak. Ganz frei davon war sie auch nicht.
Naphré machte sich los und stand auf. Alastor hätte sie gern noch etwas bei sich behalten. Doch sie wandte sich zur Tür und zu der Shikome um. „Was willst du von mir?“ Ihre Stimme klang beherrscht, auch wenn er bemerkte, dass sie die Fäuste geballt hielt.
„Hat er dir das nicht gesagt?“, antwortete die Shikome mit einer Gegenfrage. Da sie keine Gesichtszüge erkennen ließ, war es unmöglich, ihre Gedanken zu erraten. Trotzdem glaubte Alastor, in ihrer Antwort einen bösartigen Unterton zu hören. Er hatte die Shikome im Verdacht, dass sie ihn bloßstellen wollte.
„Ob er …?“ Naphré sah ihn fragend an. Sie schien irritiert zu sein. „Von dir hat er mir jedenfalls nichts erzählt. Scheint irgendwie untergegangen zu sein.“
„Warum bist du gekommen?“, fragte Alastor die Shikome.
„Die Zeit verrinnt, und du lässt Izanami warten. Das ist respektlos.“ Während sie redete, erschien eine dicke Spinne vor dem Loch, das sich beim Sprechen bewegte, und verschwand dann blitzschnell in der Öffnung.
„Das war nicht meine Absicht“, antwortete er. Wieso wartete Izanami? Es waren gerade einmal zwei Tage vergangen, während er Naphré gefolgt war. In der Zeitrechnung der Unterwelt waren das höchstens Minuten. „Ich wusste nicht, dass sie es so eilig hat.“
„Das wusstest du nicht?“
Was Izanamis Eile anging, wusste er es wirklich nicht und war auch nicht sicher, ob es nicht nur eine Finte war. Irgendetwas kam ihm daran verdächtig vor. Und ihm war sehr daran gelegen, Butchers Seele so rasch wie möglich in die Hände zu bekommen, damit Sutekh sie zu Lokans Tod befragen konnte.
„Dir lag doch so viel daran, die Geheimnisse der Schwarzen Seele, die du abgeben musstest, zu erfahren. Hat sich daran etwas geändert?“
Naphré horchte auf, als die Rede auf Butchers Seele kam. „Du hast sie gar nicht?“
Alastor verneinte ihre Frage und auch die der Shikome, während es fieberhaft in seinem Hirn arbeitete. Ihm war Izanamis Drängen ein Rätsel. Mit Butchers Seele konnte es nicht zusammenhängen. Er konnte sich auch nicht vorstellen, dass sie so ungeduldig darauf wartete, ihn zu sehen. Dann wartete sie eher ungeduldig auf Naphré.
„Bring sie mir!“, befahl die Shikome. „Dann werde ich bei Izanami für dich vorsprechen.“ Alastor hörte im Geiste schon das Klicken der Würmer und Maden in Vorfreude auf die bevorstehende Mahlzeit. „Du bekommst deine Audienz bei Izanami, trägst deine Sache vor und erhältst die Schwarze Seele zurück, die du wünschst. Du hast meine Unterstützung. Vorausgesetzt, du bringst das Mädchen.“
Was die Shikome
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