Seelensunde
sagte, entsprach genau ihrer Vereinbarung. Dennoch schwang in ihren Worten etwas mit, das verdächtig nach Falle roch. Alastor kannte diese Methode, Versprechungen zu machen und sich doch nicht festzulegen, nur zu gut von seinem Vater.
Naphré wurde stutzig. „Mit dem Mädchen bin ich wohl gemeint?“ Sie warf einen vernichtenden Blick auf Alastor, und er erkannte ihren Schmerz und ihre Enttäuschung. „Daher weht also der Wind. Diese ganze Fürsorge, dass du nach mir sehen wolltest, dir Sorgen um mich machst, dieser ganze Mist …“ Sie wandte sich an die Shikome. „Was habt ihr mit mir vor?“
Naphré wollte ein paar Schritte zur Seite treten, um Abstand von ihm zu gewinnen, aber Alastor hielt sie am Handgelenk fest. Sie blickte nur stumm auf die Hand, die ihre hielt, und schüttelte sie ab. Er ließ Naphré gewähren, obwohl er tief in sich den absurden Wunsch verspürte, sie wie ein Neandertaler an den Haaren zu packen und in seine Höhle zu schleppen. Zurück in die Steinzeit – großartig. Dazu konnte er sich gratulieren. Es war schon weit mit ihm gekommen.
„Ich habe es mir zur Regel gemacht, mich nicht von Fremden in die Unterwelt einladen zu lassen“, meinte Naphré spitz.
Alastor kam es vor, als würde die Shikome lachen. „Ich binYomotsu-shikome. Eine der Acht.“
„Die Rachegöttin“, flüsterte Naphré halb für sich.
„Nein, Göttin ist zu viel gesagt. Ich bin nur eine bescheidene Dienerin.“
„Soweit ich die japanischen Mythen kenne, bist du mehr als das.“
Alastor betrachtete sie mit Sorge, doch Naphrés Miene verriet nichts von ihren Gedanken. Die dunklen Augen schauten kühl und ausdruckslos auf ihn. „Du hast mich also für Butchers Schwarze Seele verkauft, ja?“ Ihr Ton blieb ruhig und sachlich. Ihre Worte waren mehr eine Feststellung als ein Vorwurf. Dennoch konnte Alastor ihren Schmerz und ihre Enttäuschung fast körperlich fühlen. Sie hatte ihm Vertrauen geschenkt. Er hatte sie belogen und hereingelegt.
Hatte er das wirklich? Bei Licht betrachtet stimmte es. Vielleicht hatte er ihr nicht unmittelbar ins Gesicht gelogen, aber er hatte ihr einen maßgeblichen Teil der Wahrheit verschwiegen. Eiskalt nach dem Motto: Der Zweck heiligt die Mittel. Woher kamen jetzt plötzlich diese Skrupel? „Naphré …“, setzte er an.
Sie unterbrach ihn scharf: „Antworte!“
„Verdammt noch mal. Von Verkaufen ist doch gar nicht die Rede. Ich will Butchers Schwarze Seele, und sie“, er deutete mit einer Kopfbewegung auf die Shikome, „hat mir das Angebot gemacht, dass ich mit Izanami darüber sprechen kann – unter der Bedingung, dass ich dich mitbringe. Ich habe mir das so vorgestellt, dass wir beide zu ihr gehen und dann wieder zurückkehren.“
Naphré sah ihn ein paar Sekunden lang schweigend an. Alastor hatte keine Ahnung, ob sie ihm glaubte oder nicht. Auch wenn er jetzt die Wahrheit gesagt hatte, fühlte er sich nicht wohl in seiner Haut. Denn so naiv hatte er nicht sein können, sich vorzustellen, dass sie, Naphré, er und Izanami, gemütlich zu dritt zusammen Tee trinken und Kekse knabbern, sich sodann freundlich voneinander verabschieden und nach Hause gehen würden. Insgeheim hatte er selbstverständlich gewusst oderzumindest den Verdacht gehegt, dass mehr dahintersteckte. Ihm war die Möglichkeit bewusst gewesen, dass Naphré aus Izanamis Reich nicht zurückkehren würde, ganz gleich, was die Shikome versprach.
Immerhin hatte er Naphrés Namen in Sutekhs großem Buch gelesen.
Er hatte sich zuerst nicht viel dabei gedacht. Aber jetzt lagen die Dinge anders. Ihm war längst nicht mehr gleichgültig, was mit Naphré geschah. Sie oder ihre Seele zu verkaufen , wie Naphré sich ausdrückte, kam gar nicht infrage. Andererseits wollte er auf die Auskünfte, die Butchers Seele geben konnte, auch nicht verzichten.
Zwickmühle.
Eigentlich hätten die Prioritäten klar sein müssen. Butchers Seele war möglicherweise die letzte Spur, die sie noch zu Lokan führte. Dennoch scheute Alastor davor zurück, Naphré dafür zu opfern. Sie bedeutete ihm etwas, er wusste nur noch nicht, was es war.
Und sie selbst? Sie hatte nie offen gesagt, wem sie ihre Seele verschrieben hatte. Dass sie wusste, dass es Sutekh war, hielt Alastor für unwahrscheinlich. Nach den Utensilien zu urteilen, die er in ihrem Zimmer vorgefunden hatte, dem Salz und den Kerzen, hatte sie versucht, einen Dämon zu beschwören. Und Sutekh war kein Dämon. Er war ein Gott, der mächtigste Gott der
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