Seelensunde
wieder zu. Er sagte lieber nichts dazu, denn aus irgendeiner im Finstern verborgenen Ecke seines Innern flüsterte ihm eine Stimme zu: Ich habe das Recht dazu. Du gehörst mir . Alastor brachte die Einflüsterung zum Schweigen. Stattdessen dachte er weiter angestrengt über die Shikome nach.
Dann ging ihm plötzlich ein Licht nach dem anderen auf. Das Ausbleiben des Gestanks, das rätselhafte Verschwinden der Maden … Das konnte nur eines bedeuten. Er ging auf die Shikome zu, die Schritt für Schritt vor ihm zurückwich. „Wie machst du das eigentlich, dass du hier auf der Erde unter den Sterblichen erscheinst? Das ist eine höchst seltene Gabe.“
Die Shikome blieb ihm die Antwort schuldig.
Mit einem letzten Satz war Alastor bei ihr und fuhr mit der Handkante vom Kopf bis in den Rumpf hinab durch sie hindurch. Das ganze Gewürm stob auseinander. Einiges davon landete auf dem Boden und krümmte sich dort. Andere Maden und Würmer krochen Alastor über den Arm. Aber nur eine Sekunde später schienen sie sich in Nichts aufzulösen. Sie verschwanden wie ein Spuk und mit ihnen die ganze Shikome.
Nur der Schrecken, den sie verbreitet hatte, war geblieben.
15. KAPITEL
N aphré stand mit weit aufgerissenen Augen da. „Was war das? Eine Fata Morgana? Habe ich mir das alles nur eingebildet?“
„Nein“, antwortete Alastor. „Die Shikome war echt. Und sie war hier. Ihre Drohungen nicht ernst zu nehmen wäre ein verhängnisvoller Fehler. Es hat nur ein wenig an … sagen wir, an körperlicher Substanz gemangelt.“
„Woher wusstest du das mit der Substanz?“
„Der Geruch. Plötzlich war er nicht mehr da. Ihre Kräfte ließen nach. Sie hatte genug Macht, eine Zeit lang körperlich zu erscheinen, aber eben nur eine Zeit lang.“ Er schob die Hände in die Hosentaschen. Zu gern hätte er Naphré jetzt in die Arme geschlossen. Aber man musste kein Hellseher sein, um zu erraten, dass sie das in ihrem augenblicklichen Gemütszustand nicht geduldet hätte. Sie war nach allem, was sie eben gehört und erfahren hatte, zugeknöpft bis oben hin.
„Sie hat etwas, das du unbedingt haben möchtest, stimmt’s?“
„Stimmt. Es geht um Butchers Schwarze Seele.“
Sie schüttelte den Kopf. „Ich dachte, die hast du.“
„Nicht mehr.“ Alastor lächelte gequält. „Was immer du mit ihm angestellt hast, bevor ich in jener Nacht auf dem Friedhof dazugekommen bin, hat seine Seele zum Eigentum von Izanami gemacht. Ich wusste nichts davon und habe, als ich sie an mich genommen habe, jemandem gehörig auf die Füße getreten. Und dieser Jemand hat dann die Shikome zu Sutekh geschickt, um die Seele, die ihm zusteht, zurückzubekommen.“
„Und? Ist das so schlimm? Ich wusste gar nicht, dass Sutekh so sehr hinter jeder einzelnen Seele her sein muss. Warum gehst du nicht einfach los und besorgst ihm irgendwoher eine andere?“
„Wir brauchen diese eine – Butchers Seele.“
Naphré nickte. „Ja, den Eindruck hatte ich auch.“
„Es geht darum, auf diesem Wege zu erfahren, was Butcherin jener Nacht gesehen hat, in der mein Bruder ermordet worden ist. Dass er Zeuge geworden ist, hat uns Marie vorhin bestätigt. Zu wissen, was Butcher gesehen hat, könnte uns entscheidend dabei helfen, Lokan zurückzuholen.“ Alastor bemühte sich nach Kräften, nicht von seinen Gefühlen übermannt zu werden, als er von Lokan sprach.
Naphré spürte trotzdem, wie bewegt er war.
Sie gab sich einen Ruck. Sie wollte ihn ihr Mitgefühl nicht spüren lassen. Sie presste die Lippen zusammen und wandte sich ab. Alastor wusste warum. „Die ganze Zeit hast du so getan, als ginge es dir um mein Wohlergehen, als wolltest du mich nur beschützen. Was für eine beschissene Heuchelei! Du brauchst mich als Mittel zum Zweck. Du hast mich nur benutzt, sonst nichts. Selbst bei … dem, was wir in meinem Schlafzimmer gemacht haben.“
Sie hatte sich gut im Griff. Ausdruckslos blickte sie ihn an. Sie gönnte ihm nicht einmal die Genugtuung, ihm ihre Wut zu zeigen. Mit Erfolg. Alastor wunderte sich, was mit der Frau geschehen war, die sich ihm so leidenschaftlich hingegeben hatte. Die, die jetzt vor ihm stand, war kalt, hart und hoch konzentriert. Eine Kriegerin. Und die war genauso reizvoll wie die feurige Geliebte, die er zuvor in ihr kennengelernt hatte.
„Was erwartest du von mir?“, fragte er. „Dass ich zu Kreuze krieche und dir irgendwelche Entschuldigungen vorheule? Ganz sicher nicht, mein Kätzchen. Sie haben meinen Bruder ermordet,
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