Seelentausch - Ein dunkles Familiengeheimnis (German Edition)
»Mein verletztes linkes Knie. Die tiefe Fleischwunde, die sicherlich eine wunderbare Narbe zurückbehalten würde. Verstehst du?«
Maren kräuselte die Stirn.
»Als du das letzte Mal geträumt hast, tat dir dein Knie ebenfalls weh.«
»Ja, aber das andere. Da hatte mich ein halber Baum getroffen.«
Wieder blickte Peter ihr ins Gesicht, als stände sie auf irgendeiner Leitung.
»Worauf willst du hinaus?«
»Ja, verstehst du denn nicht? Erst diese Geschichte, in der mein rechtes Knie zertrümmert wird, dann die Erfahrung, wie mein linkes Knie über den Jordan springt.« Seine Hand griff nach einem Büschel Gras und riss es aus. »Die Verletzungen meines Opas! Ich habe die Verletzungen meines Opas gespürt. Und ich habe sogar mitbekommen, wie sie entstanden sind.« Er warf die Grashalme achtlos nach vorn. »Wieso zum Teufel habe ich Aussetzer, in denen ich quasi in der Haut meines Großvaters stecke? Das ist verrückt.«
»Vielleicht hat dich das Thema bereits früher beschäftigt?«
»Du meinst, meine Eltern hatten mit mir schon einmal über Opas Kriegswunden gesprochen? Das ist definitiv nicht der Fall gewesen. Ich habe noch nie mehr als zwei Worte über meinen Opa erfahren. Noch nie. Meine Eltern reden nicht gerne von ihm. Ich habe nicht gewusst, ob und wie schwer Opa im letzten Weltkrieg verwundet wurde.«
Peter schüttelte den Kopf und rupfte nun ein Gänseblümchen aus der Wiese. Konzentriert betrachtete er die kleine Blüte.
»Was ist mit dem untersetzten Mann? Wie war sein Name? Dieter? Oder den fremd sprechenden Soldaten?«, fragte Maren langsam. »Oder dem gruseligen Hauptmann?«
»Weiß ich nicht. Aber ich bin überzeugt, dass Opa alle diese Leute kannte.« Peters Blick lag fest auf ihrem Gesicht. »Maren, verstehst du denn nicht? Das waren keine bloßen Hirngespinste, während ich ohnmächtig war. Ich bin praktisch dabei gewesen, als mein Opa verwundet wurde. Ich war mein Opa.«
»Das kannst du nicht wissen.«
»Ich bin mir sicher, dass es sich damals genauso abgespielt hat«, entgegnete Peter fast trotzig. »Und ich weiß auch schon, wo ich eine Antwort finden werde.«
Maren sah ihn überrascht an.
»Ich werde meine Oma besuchen.«
»Deine Oma? Ich denke, ihr habt seit Jahrzehnten keinen Kontakt mehr zu ihr.«
»Haben wir auch nicht«, bestätigte Peter. »Aber sie wohnt nicht weit weg. Ihr Heim liegt am östlichen Hamburger Stadtrand. Eine knappe Stunde Autofahrt von hier entfernt. Meine Eltern bekommen regelmäßig die Rechnungen.«
Maren konnte sich auf dem Rückweg nur mühsam beherrschen, nicht ständig den Kopf zu schütteln. Wie war es möglich, dass ein Enkel praktisch ohne seine Oma aufwuchs, obwohl die Frau ganz in der Nähe wohnte? Das war doch nicht normal.
»Wieso ist das Verhältnis zwischen deiner Mutter und deiner Oma dermaßen zerrüttet, dass du die alte Dame in all den Jahren nicht einmal besuchen durftest? Ich dachte, dein Opa wäre der Bösewicht in der Familie. Immerhin war er es, der stiften gegangen ist.«
Peter nickte, während er mit einem langen Schritt über eine Ansammlung Wildblumen stieg, die herrlich rot blühten.
»Ich weiß nicht, was damals vorgefallen ist. Jedenfalls haben sich Mutter und Oma ordentlich verkracht, nicht lange, nachdem Opa abgehauen ist. Über die Gründe hat man mit mir natürlich nie gesprochen. Zwischen den beiden herrscht Funkstille, seit ich ein paar Monate alt war.«
Maren setzte ihren Fuß vorsichtig auf die Kraterlandschaft des Innenhofes und warf einen skeptischen Blick auf das geschundene Pflaster.
»Du hast deine Oma also nie gesehen?«, hakte sie nach. Es war schwer vorstellbar, dass Peter nicht wenigstens versucht hatte, Kontakt mit ihr aufzunehmen.
»Jedenfalls kann ich mich nicht mehr daran erinnern. Und irgendwann war Oma einfach nicht mehr präsent für mich, nur noch ein Name auf einer Rechnung, mit dem man keinerlei Gefühle verbindet. Meine Eltern hatten gut dafür gesorgt, dass ich sie vergaß.«
»Aber spätestens, als du volljährig geworden bist, hättest du deine Oma besuchen können.«
»Ja, das hätte ich wohl. Aber da war der Zug längst abgefahren. Sie existierte für mich doch schon gar nicht mehr. Sie existierte ja nicht mal mehr für meine Eltern.«
»Aber leben tut die alte Dame schon noch?«
Peter lachte freudlos.
»Ich nehme es an. Ansonsten würde das Heim gewaltigen Ärger bekommen, weil es uns seit vielen Jahren munter die Rechnungen für ihre Betreuung schickt.«
»Bei euch ist
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