Seelentausch - Ein dunkles Familiengeheimnis (German Edition)
Umriss zu erkennen.
Dann kam die Kälte und fiel ihn an wie ein hungriges Raubtier.
Einen Moment glaubte Peter, Eiskristalle auf dem Glas zu sehen. Filigrane, feine Muster, die auftauchten und gleich darauf wieder verschwanden.
Der unheimliche Nebel löste sich ebenso schnell auf, wie er gekommen war.
Ihm wurde schwindelig, und er senkte den Blick.
Als Peter das Spiegelbild seiner Schuhe erblickte, kroch ein heiseres Stöhnen über seine Lippen. Es waren staubige Stiefel, deren besseren Tage schon längst vorüber waren. Langsam hob Peter den Kopf und betrachtete die graue Hose aus dem groben Stoff, die an unzähligen Stellen aufgerissen war und die in Höhe der Kniescheiben dunkle, beinahe schwarze Flecken aufwies.
Sein Blick glitt weiter hinauf. Die Farbe seiner Uniformjacke konnte vor Urzeiten als grau durchgegangen sein. Inzwischen jedoch hatte das Kleidungsstück einen ungesunden Dunkelbraun-Ton angenommen, erneut gemischt mit zahlreichen schmierig-öligen Klecksen.
Peter spürte das große Verlangen, sich einfach abzuwenden. Doch es war bereits zu spät. Wie von selbst wanderten seine Augen nach oben und fixierten das Gesicht im Spiegel.
Sein Großvater musterte ihn ohne besonderes Interesse. Wilhelm wirkte wie am Ende seiner Kräfte. Seine Wangen waren eingefallen, die Stirn schmutzverkrustet. Die aufgerissenen Lippen versuchten sich an einem müden Lächeln, das mehrere abgesplitterte Zähne zum Vorschein brachte. Wilhelm schwankte leicht, obwohl Peter vollkommen regungslos vor dem Spiegel stand.
Dann verzerrte sich das Bild seines Opas.
Die Konturen begannen zu zerlaufen. Kurz hatte Peter das Gefühl, durch ihn hindurchsehen zu können.
Als die Umrisse wieder klarer wurden, hatte sich das Aussehen der Gestalt verändert.
Einen Augenblick lang schaute Peter fassungslos auf das hagere Antlitz, welches ihn mit glühend roten Augen anstarrte.
Diese schmierigen, zu langen Haare.
Diese spitze Nase.
Es war das Gesicht des Hauptmannes. Und als ob das nicht schon schlimm genug wäre, fing der Hauptmann plötzlich an zu lachen. Die Fratze im Spiegel bleckte die Zähne wie ein tollwütiger Hund, und ein unangenehmes Dröhnen erfüllte den Flur.
Panisch wandte Peter sich ab. Das Lachen verstummte nicht. Peter machte einen unsicheren Schritt zur Seite und merkte, wie seine Beine taumelten. Er versuchte noch, das Gleichgewicht zu halten, aber es war bereits zu spät. Wie ein gefällter Baum fiel er vornüber.
12
Sie versuchten, den Rest des Abends nicht mehr über all die Vorkommnisse zu sprechen. Das Wochenende sollte harmonisch ausklingen. Peter holte eine Flasche des süßen Mandarinenlikörs hervor, den sie getrunken hatten, als Peter Maren das erste Mal zu sich eingeladen hatte. Maren steuerte als Abendessen geviertelte, belegte Brötchen bei, die mit Schinkenwurst, Fleischsalat, Nutella und Honig beschmiert waren. Im Fernsehen lief ein Tatort aus der österreichischen Provinz, während sie eng aneinandergekuschelt auf dem Sofa saßen.
Maren kam aus dem Badezimmer und rubbelte sich die Haare trocken. Bereits vom Flur aus hatte sie das unregelmäßige Schnarchen ihres Freundes hören können.
Peter lag reglos auf dem Bett, vollbekleidet, aber mit heruntergelassener Hose. Es sah aus, als wäre er während des Ausziehens einfach eingeschlafen. So etwas hatte es bisher bei ihm noch nicht gegeben.
Maren fischte sich ihr Top unter dem Kopfkissen hervor, zog es an und setzte sich neben Peter aufs Bett. Eine Zeit lang betrachtete sie ihn schweigend.
Die Visionen begannen, an seiner Substanz zu kratzen. Dagegen musste schleunigst etwas unternommen werden. Maren atmete einmal kräftig aus und fing an, an seiner Schulter zu rütteln.
Es dauerte Minuten, bis er endlich aufwachte.
»Bin glatt in Klamotten eingepennt«, stellte er verwirrt fest und blickte an sich herunter.
»Peter, so geht es nicht weiter«, sagte Maren ernst.
Peter schenkte ihr ein unsicheres Grinsen, während er sein Hemd über den Stuhl warf und sein schwarzes T-Shirt mit dem albernen Aufdruck Die dümmsten Bauern haben die größten EIER überzog.
»Ich habe Angst«, gab er unumwunden zu und setzte sich wieder aufs Bett.
»Ich weiß. Ich bekomme auch Angst. Und daher denke ich, es wird allmählich Zeit, deinen Opa zu suchen.«
Peter runzelte die Stirn. »Wozu soll das gut sein?«
»In allen Visionen kommt dein Opa vor. Du bist dein Opa. Das muss doch eine Bedeutung haben. Vielleicht lebt er noch. Dein Opa ist nur ein Jahr älter
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