Seelentausch - Ein dunkles Familiengeheimnis (German Edition)
versagte.
Der Hauptmann würde ihn warnen, wenn es so weit war. Er hatte es versprochen. Er war dazu in der Lage.
Karl Gustav tastete mit der Hand nach der Brille neben sich. Er spürte, dass der Hauptmann ihn rief. Gleich würde er ihn besuchen. Aber vorher wollte er noch etwas trinken. Er setzte sich seine verwünschte Brille auf. Sie drückte an den Ohren und den Nasenflügeln. Er hatte es so gründlich satt, mit den Panzergläsern vor seinen Augen herumzulaufen. Seit seiner Kindheit war er auf Sehhilfen angewiesen. In den letzten Jahren war seine Haut dermaßen dünn geworden, dass selbst die leichtesten Brillen überall zwickten und tiefe rote Abdrücke hinterließen.
Sein Blick glitt wieder hinüber zur Uhr. Insbesondere der kleine Zeiger verschwamm umso stärker, je länger man auf das Ziffernblatt starrte, selbst mit Brille.
Egal. Der Hauptmann machte sich nicht sonderlich viel aus Zeiten und kam, wann es ihm passte; ob mitten in der Nacht oder am schönsten Nachmittag.
Seine Gelenke knackten. Karl Gustav schlurfte in die Küche und schaltete das Licht ein. Einige Sekunden blickte er den Berg dreckigen Geschirrs an, der sich auf seiner Spüle und den Ablageflächen daneben breitmachte. Wann besuchte ihn die Putzhilfe wieder, die man ihm zugebilligt hatte? Schlimm genug, dass sie nur einmal in der Woche kam. Ihm war es zum Ende dieser Zeit kaum möglich, die Küche zu betreten. Und das nicht nur, weil sich schmutziges Geschirr derart stapelte, dass es gefährlich war, sich hier aufzuhalten. Wenn einer der massiven Teller auf seinen Fuß fiel, konnte das ernsthafte Verletzungen mit sich ziehen. Nein, es stank dazu noch fürchterlich. Auch jetzt wehte ihm ein leicht süßlicher Duft entgegen, der sich irgendwo neben dem Kühlschrank eingenistet hatte. Gab es vor einigen Tagen nicht die Schweinesteaks mit Blumenkohl, die Hannelore ihm mitgegeben hatte? Die Reste hätte man entsorgen sollen.
Knarrend öffnete sich die Kühlschranktür. In seinem Alter hatte man es nicht mehr nötig, auf Sauberkeit zu achten. Er hatte seine Schuldigkeit der Gesellschaft gegenüber getan. Jetzt konnte die Gesellschaft sich mal um ihn kümmern. Sein ganzes Leben lang hatte er den Müll rausgebracht. Jetzt waren andere dran. Auch Abwaschen konnte man seiner geschundenen Haut nicht mehr zumuten. Außerdem hatte er es im Rücken. So konnte man keine Geschirrspülmaschine befüllen. Sollten doch andere seine Drecksarbeit erledigen. Ihm war die Lust darauf irgendwie abhandengekommen.
Karl Gustav nahm sich den Rest des stillen Wassers, drehte den Verschluss ab und trank. Die leere Plastikflasche landete achtlos in der Spüle. Sollte sich die Gesellschaft doch darum kümmern. Schade nur, dass sie das lediglich einmal die Woche machte.
Das kalte Nass rann seine ausgeleierte Kehle hinunter. Nur nicht zu hastig trinken, sonst würde es wieder Herzschmerzen geben. In den letzten Tagen hatte er oft Herzschmerzen. Zu viel Aufregung. Maren Seifert, diese billige, intrigante Hure! Sie war schuld an seinen Beschwerden. Alles war in bester Ordnung gewesen, bis diese Tussi plötzlich aufgetaucht war und Peter verrückt gemacht hatte. Als ob der Teufel persönlich dieses Flittchen geschickt hätte. Wie kamen diese Idioten nur auf die Idee, Nachforschungen anzustellen? Peter hatte sich noch nie für Wilhelm interessiert. Warum ausgerechnet jetzt?
Karl Gustav merkte, wie die Wut in ihm aufloderte, und haute mit der Faust auf die Ablageplatte. Es war nicht gut, so in Rage zu geraten.
Bald würde das alles sowieso ein Ende haben! Bald würde sein zweiter Frühling beginnen! Bei dem Gedanken daran wurde ihm augenblicklich wieder warm ums Herz.
Er ließ sich wieder auf die rechte Seite des Sofas fallen. Er saß immer dort. Auch wenn der Stoff auf dieser Seite schon völlig abgescheuert war. Die andere Sofaseite war für Besuch vorgesehen. Für Damenbesuch. Karl Gustav kicherte leise. Lange schon gab es kein weibliches Wesen mehr, das einen Fuß in seine Wohnung gesetzt hatte. Doch bald würde sich das ändern.
Er rieb sich über die Handgelenke, nahm die Brille ab und warf sie achtlos neben sich auf das Sofa. Auf die Damenseite. Aber er schätzte, das ging in Ordnung. Für den bevorstehenden Besuch brauchte er keinen scharfen Blick. Er musste nur seine Sinne schärfen.
Der Hauptmann war nun ganz in der Nähe. Sein Duft wehte ihm voraus. Diese eigenartige Mischung aus Waldbeere, Tanne und Schwefel vergaß man nicht mehr, wenn sie einem erst
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