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Seelentod

Seelentod

Titel: Seelentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
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hatte sich den Sessel ausgesucht, von dem sie annahm, dass er sonst da saß. «Patienten? Haben Sie denn eine medizinische Ausbildung?»
    «Die Ausbildung zum Akupunkteur ist langwierig und hart.» Er war fest entschlossen, sich nicht provozieren zu lassen, doch es fiel ihm schwer, den lockeren, belustigten Ton beizubehalten, den er Vera gegenüber beim letzten Mal angeschlagen hatte. Es war ein Anflug von Missmut zu erkennen, über den sie am liebsten gejubelt hätte.
    «Ein Arzt sind Sie aber nicht?»
    «Die westliche Medizin kennt nicht alle Antworten, Inspector.»
    «Sie haben doch bestimmt gehört, was mit Danny Shaw passiert ist.» Sie wechselte das Thema so unvermittelt, dass Morgan blinzelte. Für Ashworth gab es keinen Sessel mehr, deshalb lehnte er sich gegen die Tür und blockierte den Fluchtweg. «Sicher haben Sie das. Ich weiß, Sie haben keinen Fernseher, aber es hat doch bestimmt in dieser Schlaumeierzeitung gestanden, die Sie lesen. Ganz sicher. Ein zweiter Mord in Verbindung mit dem Willows. Auf so was stürzt sich die Presse.»
    «Das ist eine traurige Geschichte», sagte Morgan, «aber ich kann nicht erkennen, weshalb Sie glauben, dass es etwas mit mir zu tun haben könnte.»
    «Sie waren eng mit Danny befreundet», giftete Vera ihn an. «Das sagt zumindest seine Mutter …»
    «Das ist doch ein wenig übertrieben.»
    «Er hat Sie bewundert», fuhr Vera fort, als hätte er sie gar nicht unterbrochen. «Hat Ihren Elan bewundert und die Art, wie Sie die Dinge anpacken, die Sie durchsetzen wollen. Muss schmeichelhaft für Sie gewesen sein, dass ein so aufgeweckter Kerl wie Danny Ihnen an den Lippen hängt.»
    Und ganz gegen seinen Willen entschlüpfte Morgan ein kleines Lächeln. Selbst hier, unter Beobachtung der beiden Kriminaler, konnte er seine Selbstzufriedenheit nicht verbergen. «Wir hatten ein paar interessante Gespräche. Wie Sie schon sagten, er war sehr aufgeweckt. Wenn man an einem Ort wie dem hier arbeitet, sehnt man sich schon mal nach intelligenten Gesprächspartnern.»
    «Aber sicher», sagte Vera. Sie musste sich auf die Zunge beißen, um nicht zu fragen, ob er deshalb was mit Mattie und Freya angefangen hatte. Wegen der tiefgründigen Gespräche. «Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?»
    «Nachmittags, an dem Tag, bevor er ums Leben gekommen ist», sagte Morgan. «Da muss es gewesen sein.»
    «Erzählen Sie mir davon.» Dieser Sessel war sehr bequem, bequemer als alles, was in Morgans Wohnung so herumstand. Vera musste sich zwingen, konzentriert zu bleiben. Auf einmal dachte sie, wie leicht es wäre, hier einzunicken.
    «Wir haben uns zum Kaffeetrinken in der Lounge getroffen. Das haben wir an den meisten Tagen getan, an denen unsere Arbeitszeiten zusammengefallen sind.»
    «Wie hat Danny auf Sie gewirkt?» Sie rutschte auf dem Sessel ein bisschen nach vorn und saß jetzt aufrechter.
    Morgan nahm sich Zeit für die Antwort, und das ließ Vera plötzlich hellwach werden. Dachte er sich etwa gerade eine Geschichte aus? Das würde bedeuten, dass er etwas zu verbergen hatte.
    «Er kam mir irgendwie unruhig vor», sagte Morgan schließlich.
    «Auf welche Weise unruhig?» Sie beugte sich nach vorn, die Ellbogen auf den Knien, und sah ihm direkt ins Gesicht.
    «Sie wissen schon, angespannt, aufgedreht. Vielleicht hatte er auch nur zu viel Kaffee getrunken. Gut möglich, dass weiter nichts dahintersteckte.»
    «Mr Morgan, Sie sind es gewohnt, die körperlichen Signale Ihrer Mitmenschen zu deuten. So verdienen Sie Ihren Lebensunterhalt, so bringen Sie unglückliche Menschen dazu, Ihnen zu vertrauen. Menschen wie Lisa, die hier arbeitet. Menschen, die sich Ihre Honorare nicht wirklich leisten können. Und dann bringen Sie Ihre Patienten dazu, Ihnen alles zu erzählen. Ich will ganz genau wissen, welchen Eindruck Sie an jenem Nachmittag von Danny hatten. Und was er gesagt hat, jedes Wort.»
    Morgans Büro war sehr klein, und es gab kein Fenster. Ein schwach würziger Duft lag in dem Raum, Räucherstäbchen vielleicht oder Duftkerzen. Doch jetzt konnte Vera riechen, dass der Mann, der so dicht vor ihr saß, Angst hatte.
    «Wie ich schon sagte, er war aufgedreht», sagte Morgan. Er wich ihrem Blick aus. «Überdreht. Zuerst habe ich an Drogen gedacht, aber ich glaube, es war bloß Adrenalin.»
    «Und was hat er gesagt?»
    «Nichts Besonderes. Wirklich. Nichts, was Ihnen helfen könnte, seinen Mörder zu finden.»
    «Ich glaube wirklich nicht, dass Sie dazu befähigt sind, das zu beurteilen.»

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