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Seelentod

Seelentod

Titel: Seelentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
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als würde er die ganze Zeit nach Hundescheiße auf dem Weg Ausschau halten. Die Sonne und der Regenbogen waren mittlerweile verschwunden, und der Himmel verdunkelte sich, obwohl es noch früher Nachmittag war. Doreen tappte durch die Lounge und knipste kleine Tischlampen an. Charlie stand am Eingang und spähte ins Halbdunkel, und Vera rief ihn zu sich herüber. Sie hatte schon immer eine kleine Schwäche für ihn gehabt. Vielleicht weil sein Privatleben ein noch größeres Desaster war als ihres. In seiner Gegenwart fühlte sie sich gut.
    «Tee?», fragte sie. «Oder könnten Sie was Stärkeres gebrauchen?»
    «Was trinken Sie?» Die Kunst der Liebenswürdigkeit hatte Charlie noch nie beherrscht, und die Worte kamen mit einem Grunzen heraus.
    «Oh, für mich ist es noch etwas zu früh», sagte sie in tugendhaftem Ton, «und im Tee ertrinke ich mittlerweile, aber Ihnen bestelle ich gern was.»
    «Dann Tee.» Er blickte sie misstrauisch an.
    «Haben Sie Connie schon gefunden?»
    «Ich habe ihren Wagen gefunden. Wenigstens habe ich ihn ein paar Mal auf der Überwachungskamera gesehen. In Effingham, dieser kleinen Stadt östlich von Barnard Bridge, steht so eine Kamera. Auf dem Zebrastreifen da ist mal ein kleines Mädchen ums Leben gekommen, und der Gemeinderat hat eine installieren lassen.» Doreen hatte ihm seinen Tee und einen Teller mit Keksen hingestellt, und er tauchte einen davon in die Tasse, bevor er ihn sich auf einmal in den Mund steckte.
    «Und wo war die andere Kamera?» Manchmal, dachte Vera, war Charlie nicht anders beizukommen als mit Geduld.
    «Es gibt nur die eine, aber der Wagen taucht zweimal auf dem Band auf.» Der zweite Keks zerbröselte und fiel in den Tee, bevor er ihn essen konnte. Er fluchte leise und fischte ihn mit dem Löffel wieder heraus.
    «Können Sie mir das bitte erklären, Charlie? Aber im Telegrammstil. Ich habe fast den ganzen Tag hier drin verbracht und fühle mich ganz matschig im Kopf.»
    «Gestern Morgen, neun Uhr, fährt der Wagen Richtung Norden.»
    «Nach Newcastle also.»
    «Aye, aber wenn sie nach Newcastle wollte, wäre sie dann nicht einfach auf die A69 gefahren und hätte die Autobahn genommen?»
    «Keine Ahnung, Charlie, vielleicht wollte sie ja die landschaftlich schönere Strecke fahren?» Aber war das wahrscheinlich?, fragte sich Vera. Wenn Connie Angst hatte und sich irgendwo verstecken wollte, hätte sie dann nicht den schnellsten Weg genommen?
    Charlie ging nicht weiter darauf ein und fuhr fort. «Eine Stunde zwanzig Minuten später ist sie dann wieder zurückgefahren, Richtung Westen, an derselben Kamera vorbei.»
    «Wo wollte sie also hin?» Jetzt sprach Vera mit sich selbst. «Sicher nicht nach Newcastle. Die Zeit hätte ja kaum für die Hin- und Rückfahrt gereicht, egal was sie dort vorgehabt hätte. Außer sie wollte bloß ihre Tochter an einem sicheren Ort absetzen. Aber das könnte nur bei Alices Vater sein, und der sagt, dass er nichts von ihr gehört hat, und wieso sollte er lügen? Also nach Hexham? Wenn sie vorhatte unterzutauchen, hätte sie dort im Supermarkt ein paar Vorräte kaufen können. Ich hatte da ja so eine Idee, aber ich muss mich komplett geirrt haben.»
    «Wenn sie auf der Straße weitergefahren ist, ist sie in Carlisle gelandet», sagte Charlie. «Und von da aus geht es weiter nach Schottland oder sonstwo in Nordwest-England.»
    «Ich brauche keine Erdkundestunde, Mann!»
    Und ich brauche auch niemanden, der mich daran erinnert, dass das hier ein Heuhaufen ist, in dem wir die Nadel suchen.
    Einen Augenblick lang saßen sie schweigend da. Doreen warf ein Holzscheit ins Feuer, das feucht gewesen sein musste, denn es zischte und qualmte.
    «Holly hat gesagt, wir könnten heute früh nach Hause.» Charlie warf ihr einen hoffnungsvollen, fast schon flehentlichen Blick zu. Er erinnerte sie an einen dieser großen, faltigen Hunde mit schlaff offen stehendem Maul, die Sorte Hund, die sie schon immer verabscheut hatte und denen sie unterm Tisch am liebsten einen Tritt versetzen würde, wenn das Herrchen gerade nicht hinschaute. Die Sorte Hund, die sabberte.
    «Sie leider nicht, mein Hübscher.» Sie strahlte ihn an. «Sie müssen noch den Wagen finden. Ich weiß doch, dass Sie keiner sind, der so was halb erledigt liegen lässt.»
    Draußen war es jetzt ganz dunkel. Sie konnte den Regen nicht rauschen hören, obwohl er wieder eingesetzt haben musste, denn die Laternen, die die Zufahrt säumten, waren nur noch verschwommen zu erkennen, von der

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