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Seelentod

Seelentod

Titel: Seelentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
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war …»
    «Warum überhaupt heiraten?», fragte Vera. «Warum ziehen Sie nicht einfach zusammen, wie alle anderen?»
    «Das ist es ja gerade!» Einen Augenblick lang schien Hannah den Tod ihrer Mutter vergessen zu haben. Ihre Augen glänzten. «Wir sind nicht wie alle anderen. Das, was wir haben, ist etwas ganz Besonderes. Da wollten wir auch eine besondere Geste, um das auszudrücken. Wir wollten, dass jeder weiß, dass wir den Rest unseres Lebens zusammen verbringen werden.»
    Vera dachte, dass Hannahs Eltern einander bei der Hochzeit vermutlich ähnliche Versprechungen gemacht hatten und dass diese Verbindung gerade mal die Geburt ihrer Tochter überdauert hatte. Auch sie waren am Anfang wahrscheinlich voller Ideale gewesen. Aber Hannah war jung und romantisch, und es wäre grausam gewesen, ihr die Illusionen zu zerstören. Dieser Student war jetzt ihr einziger Halt.
    «Also hatte Jenny nichts gegen Simon?»
    «Natürlich nicht! Wir haben uns alle ganz wunderbar verstanden. Mum hatte halt einen ziemlichen Beschützerinstinkt. Seit Dad uns verlassen hat, gab es immer nur uns beide. Ich glaube, es war schwer für sie zu akzeptieren, dass es jetzt noch jemand anderen in meinem Leben gibt.»
    Vera wandte sich an den jungen Mann. «Und Ihre Eltern? Was hielten die davon, dass Sie so bald heiraten wollten?»
    Er zuckte leicht die Achseln. «Überglücklich waren sie nicht gerade. Aber sie hätten sich schon wieder beruhigt.»
    «Simons Mutter ist ein Snob», sagte Hannah. «Die Tochter einer Sozialarbeiterin ist nicht so ganz das, was sie sich für ihren Sohn vorgestellt hat.» Sie lächelte, um zu zeigen, dass sie nicht nachtragend war.
    Sie schwiegen. Es kam Vera so vor, als hätten sie sich alle abgesprochen, Jenny Listers Ermordung um keinen Preis zu erwähnen. Einen Moment nur wollten sie so tun, als wäre nicht etwas Schreckliches geschehen, und das Schlimmste, womit sie sich auseinanderzusetzen hätten, wäre das vage Unbehagen ihrer Eltern hinsichtlich ihrer frühen Heirat.
    «Wann haben Sie Ihre Mutter das letzte Mal gesehen?», fragte Vera im gleichen Tonfall – ganz die neugierige Nachbarin.
    «Heute Morgen», sagte Hannah. «Beim Frühstück. Ich bin früh aufgestanden, um mit ihr zu frühstücken. Ich habe zwar Osterferien, aber ich wollte für die Abschlussprüfungen lernen. Simons Eltern beweisen, dass ich sehr wohl Grips habe, auch wenn ich auf eine Kunsthochschule gehen will und nicht auf irgendeine Elite-Uni.»
    «Hat sie Ihnen gesagt, was sie heute vorhatte?»
    «Ja, auf dem Weg zur Arbeit wollte sie noch schwimmen gehen. Sie arbeitet oft abends und muss deshalb nicht um Punkt neun anfangen.»
    «Wissen Sie, ob sie bei der Arbeit irgendeinen besonderen Termin hatte?» Vera glaubte, wenn sie herausfand, wann Jenny im Fitness-Club gewesen war, würde sie eine bessere Vorstellung vom Todeszeitpunkt bekommen als durch alles, was der Gerichtsmediziner ihr sagen würde.
    «Ein Meeting um halb elf, glaube ich. Sie hat einen Referendar betreut und ein Gespräch mit ihm angesetzt.»
    «Wo war Jennys Büro?»
    «Im regionalen Sozialamt in Blyth.»
    Vera sah auf, etwas überrascht. «Das ist aber eine lange Fahrt jeden Tag!»
    «Das hat ihr nichts ausgemacht. Sie hat immer gesagt, es wäre gut, einen gewissen Abstand zwischen sich und die Arbeit zu bringen, und sie war ja sowieso für die gesamte Grafschaft zuständig. An manchen Tagen hat sie ihre Besuche auf dem Weg erledigt.» Einen Augenblick lang herrschte Schweigen, dann sah Hannah Vera direkt in die Augen. «Wie ist sie ums Leben gekommen?»
    «Ich bin mir nicht sicher, Herzchen. Wir müssen abwarten, was die Obduktion ergibt.»
    «Aber Sie müssen es doch wissen.»
    «Ich glaube, sie wurde erdrosselt.»
    «Niemand würde meine Mutter umbringen wollen!» Das Mädchen sprach im Brustton der Überzeugung, derselben Überzeugung, mit der sie ihre Liebe zu dem jungen Mann neben sich verkündet hatte. «Da muss sich jemand geirrt haben. Oder es war irgendwie ein Psychopath. Meine Mutter war ein guter Mensch.»
    Als sie das Haus verließ, überlegte Vera, dass sie noch nie so recht verstanden hatte, was es mit den guten Menschen auf sich hatte.

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    Kapitel Sechs
    Es gab Tage, da meinte Joe Ashworth, dass er im Grunde ein Heiliger war – schließlich arbeitete er mit Vera Stanhope zusammen. Seine Frau jedenfalls hielt ihn definitiv für verrückt, dass er den Dienst spätabends und frühmorgens einfach so hinnahm und sich jederzeit

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