Seelentraeume
irgendwann genügte auch die nicht mehr.
Die Kuckucksuhr schwankte.
»Vorsicht, die fällt gleich«, sagte Charlotte.
Éléonore seufzte und zog die Uhr aus ihren Haaren. »Die will einfach nicht halten, was?«
»Hast du’s mal mit Nadeln versucht?«
»Ich hab’s mit allem versucht.« Éléonore musterte die mit Fleisch und Gemüse übersäte Insel, alles perfekt portioniert, in Folie eingewickelt oder in wiederverschließbaren Beuteln verstaut. »Du bist echt besessen, Liebes.«
Charlotte lachte. »Ich habe gerne einen aufgeräumten Kühlschrank.«
Éléonore öffnete den Gefrierschrank und blinzelte.
»Was?« Charlotte lehnte sich zurück, um zu erspähen, was sich die Heckenhexe ansah. Eigentlich gab es an ihrem Gefrierschrank nichts zu bestaunen – vier Drahtregale, jedes fein säuberlich mit einem Marker auf weißem Klebeband ausgezeichnet: Rind, Schwein, Huhn, Fisch, Gemüse.
Éléonore tippte gegen ein Etikett. »Es ist hoffnungslos mit dir.« Sie ließ sich auf einen Hocker sinken. »Hast du schon mal nur so zum Spaß etwas durcheinandergebracht?«
Charlotte verbarg ein Lächeln und schüttelte den Kopf. »Ich liebe klare Strukturen. So fühle ich mich geerdet.«
»So geerdet, wie du bist, schlägst du bald Wurzeln.«Charlotte lachte. Éléonore hatte ja recht.
»Du und Rose, ihr würdet euch gut verstehen«, meinte Éléonore. »Sie war wie du. Alles musste immer
genau so
sein.«
Rose kam in fast allen ihren Unterhaltungen vor. Charlotte verkniff sich ein Lächeln. Es machte ihr nicht das Geringste aus, Rose zu ersetzen. Sie hatte längst begriffen, dass Éléonore keine größere Auszeichnung vergeben konnte, also sah sie darin ein Kompliment.
»Ich bin hier, weil ich dich um einen Gefallen bitten wollte«, verkündete Éléonore. »Weil ich nämlich schrecklich egoistisch bin.«
Charlotte hob die Augenbrauen. »Was kann ich für Euch tun, Euer Hexenheit?«
»Kennst du dich mit Teenager-Akne aus?«, wollte Éléonore wissen.
»Akne ist ein Nebeneffekt normaler körperlicher Entwicklungen.« Charlotte begann, ihre Beutel in ordentlichen kleinen Stapeln im Gefrierschrank zu verstauen. »Ich kann das behandeln, dann wird es eine Weile verschwinden, tritt aber auf jeden Fall wieder auf.«
»Wie lange ist eine Weile?«
Charlotte zog den Mund schief. »Sechs bis acht Wochen. Mehr oder weniger.«
Éléonore hob eine Hand. »Bingo. Eine Freundin von mir, Sunny Roonewy, hat zwei Enkelinnen. Nette Mädchen. Daisy ist dreiundzwanzig, Tulip sechzehn. Die Eltern spielen schon länger keine Rolle mehr – ihre Mutter starb vor einiger Zeit, der Vater vor sechs Monaten. Da Daisy einen guten Job im Broken hat, lebt Tulip bei ihr, im Herbst wechselt sie auf eine Schule im Broken. Allerdings sieht ihr Gesicht wie ein Schlachtfeld aus, und Daisy sagt, dass sie sehr darunter leidet. Sie haben alle möglichen Cremes und Waschlotionen ausprobiert, aber die Pickel wollen einfach nicht verschwinden. Die beiden warten vorm Haus, sie hoffen, dass du dir den Schlamassel mal anschaust. Die Rechnung geht auf mich. Ich weiß, du hast dich vor zwei Tagen erst um Glens Magenleiden gekümmert, und ich bitte dich sehr ungern darum, aber du bist ihre letzte Hoffnung.«
Das war nichts Neues für sie. Charlotte schob den letzten Beutel in den Gefrierschrank, wusch sich die Hände und trocknete sie an einem Küchentuch ab. »Na, dann sehen wir uns das mal an.«
Die beiden Mädchen warteten am Rand der Wiese. Daisy, klein, ungefähr sechzig Pfund Übergewicht, rundes Gesicht, große braune Augen, verlegenes Lächeln, war das genaue Gegenteil von Tulip. Diese stand, so mager, dass sie für ihr Alter beinahe unterentwickelt wirkte, halb hinter ihrer Schwester versteckt. Die Jeans in Kindergröße schlackerten um ihre Beine, das eigentlich eng geschnittene Tanktop flatterte im Wind. Sie hatte spachteldick Make-up aufgetragen – die dicke weiße Paste ließ ihre Haut völlig blutleer erscheinen. Ohne dasselbe schokoladenbraune Haar und dieselben großen Augen hätte Charlotte die beiden niemals für blutsverwandt gehalten.
Keine der beiden jungen Frauen unternahm einen Versuch, näher zu kommen. Das Haus umgab ein Ring aus kleinen, glatten Steinen, jeweils im Abstand von einigen Zentimetern, von denen sich Daisy und Tulip sorgsam fernhielten. Éléonore machten die Steine nichts aus – schließlich hatte sie sie selbst ausgelegt.
»Du hast sie außerhalb der Wehrsteine warten lassen?«, flüsterte Charlotte.
»Es ist
Weitere Kostenlose Bücher