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Seelentraeume

Seelentraeume

Titel: Seelentraeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Andrews
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Krankheiten heilen und gebrochene Gliedmaßen flicken wollte. Sie waren verwandte Seelen.
    Éléonore kam mit Tulip an der Hand aus dem Badezimmer. Das Gesicht der Kleinen war ein Meer harter, roter Pusteln unter der Haut. Zystische Akne. Mit allen Anzeichen von Narbenbildung.
    »Setz dich«, forderte Charlotte sie auf.
    Folgsam nahm Tulip auf einem Hocker Platz. Éléonore stellte einen kleinen Spiegel auf die Insel. »Für alle Fälle.«
    »Schau bitte deine Schwester an, ja?« Charlotte strich mit den Fingern über die Pusteln auf Tulips linker Wange. Magie hüllte ihre Hand ein, ein steter Strom leuchtend goldener Funken.
    »Das ist schön«, hauchte Tulip.
    »Danke.«
    »Wird es wehtun?«
    »Nein, kein bisschen. Und jetzt schau bitte geradeaus. Ja, genau so.«
    Die Funken drangen unter die Haut und fanden die winzigen infizierten Haarfollikel. Die Magie erfasste Charlotte. Ein seltsames Gefühl, als würde ihr ein Teil ihrer Lebenskraft entzogen und in den heilenden Strom eingespeist. Nicht unter Schmerzen, aber beunruhigend und unangenehm, wenn man nicht daran gewöhnt war. Charlotte schloss die Augen. Einen Moment lang sah sie nur Dunkelheit, dann stellte ihre Magie die Verbindung her, und vor ihr wurde der Querschnitt von Tulips Haut sichtbar. Sie sah die Poren, die Haarschäfte, die geborstenen Follikelwände, aus denen infizierte Flüssigkeit in die Haut sickerte und die benachbarten Follikel angriff, sowie die vielen entzündeten Talgdrüsen.
    Charlotte wagte sich behutsam vor und untersuchte die Haut. Ihre Magie sättigte das Gewebe der Wange. Dann öffnete sie die Augen. Sie sah immer noch das Innere von Tulips Gesicht, fast so als würde sie gleichzeitig durch zwei Augenpaare blicken, die darüber entschieden, was sie sich als Nächstes vornehmen wollte.
    Charlotte betäubte die Nervenenden unter Tulips Haut. »Schau weiter geradeaus.«
    Tulips Wange zog sich zusammen. Aus einem Dutzend winziger Wunden trat Eiter aus.
    Tulip blinzelte überrascht. »Das hat gar nicht wehgetan.«
    Charlotte riss eine Packung Alkoholtupfer auf, nahm einen und fuhr damit über Tulips Wange. »Siehst du, wie ich gesagt habe.«
    Um eine Infektion zu verhindern, konzentrierte sie sich nun darauf, das verletzte Gewebe wiederherzustellen. Die Pusteln in Tulips Gesicht erschauerten, verschwanden allmählich und wichen gesunder, rosiger Haut.
    Daisy schnappte nach Luft.
    Die Akne verging nun vollends. Charlotte ließ den Magiestrom versickern, griff nach dem Spiegel und hielt ihn Tulip vors Gesicht.
    »Oh mein Gott!« Das Mädchen berührte die reine linke Wange. »Oh mein Gott, es ist weg!«
    Deshalb hatte sie es getan, dachte Charlotte, während sie Tulip die Haare aus dem Gesicht strich. Wegen der schlichten, spontanen Erleichterung, nachdem die Krankheit geheilt war. Dafür lohnte es sich.
    »Aber nicht für immer«, warnte Charlotte sie. »In sechs bis acht Wochen kommt es wahrscheinlich wieder. Nehmen wir uns jetzt die rechte Wange vor. Wir wollen ja nicht, dass du schief aussiehst –«
    Mit quietschenden Bremsen hielt ein Wagen vor dem Haus.
    »Wer zur Hölle mag das sein?« Éléonore riss es von ihrem Stuhl.
    »Sehen wir nach.« Charlotte lief zur Fliegendrahttür und auf die Veranda hinaus.
    Am Rand der Wiese sprang Kenny Jo Ogletree aus seinem ramponierten Chevy-Truck. Der Junge, sechzehn, breitschultrig, aber noch schlaksig, war einer ihrer ersten Patienten gewesen. Er hatte eine Kiefer erklommen, um mit der Kettensäge einen Ast abzusägen, der auf das Haus seiner Mutter zu stürzen drohte, und war abgestürzt. Die Kettensäge war auf ihn gefallen, hatte ihm beide Beine gebrochen und mehrere Rippen gequetscht. Hätte schlimmer kommen können.
    Kenny war blass. Charlotte sah die Angst in seinen Augen.
    »Was ist los?«, rief sie.
    Kenny lief hinter den Truck und öffnete die Ladeklappe. »Ich hab ihn an der Corker’s Road gefunden!«
    Auf der Ladefläche lag ein Mann. Seine Haut hob sich alabasterweiß von seiner dunklen Lederkleidung ab. Unter ihm befand sich eine dickflüssige Blutlache.
    Charlotte rannte den Weg hinunter, über den Wehrstein und zum Truck. Ihre Magie waberte von ihren Händen, drang in den Körper ein und kehrte zu ihr zurück. Sofort erschien das Körperinnere vor ihr. Stichwunde im vorderen Bauchbereich, der rechte Leberlappen durchtrennt, erheblicher Blutverlust, hämorrhagischer Schock. Der Mann starb.
    Charlotte beugte sich über den Körper, ließ ihrer Magie freien Lauf. Sie umgab sie,

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