Seelentraeume
mich gewarnt hatten.«
Als würde man gegen eine Wand anreden. Charlotte öffnete die Tür und marschierte hinaus.
Sie musste sich ins Gedächtnis rufen, wieso sie sich auf so etwas eingelassen hatte. Sie hatte Opfer gebracht und getötet, damit niemand mehr so leiden musste, wie diese beiden Kinder nun litten. Sie würde mit Richard auskommen und an Bord dieses Schiffes gehen. Und wenn sie mit alldem fertig war, würden die Sklavenhändler kaum mehr als eine unheimliche Gutenachtgeschichte sein.
7
Die Nacht kam viel zu schnell, dachte Charlotte, während sie das Maul ihres Pferdes tätschelte. Sie stand unter einer Eiche. Der Wolfshund saß neben ihr und knurrte jeden an, der ihr zu nahe kam.
Auf der Lichtung vor ihr hatten sich um die vierzig Menschen versammelt. Der Mond versteckte sich hinter ausgefransten Wolken, sodass die am Rand der Lichtung in der Erde steckenden Fackeln das einzige Licht gaben.
Ungefähr die Hälfte von Jasons Leuten, die »Sklavenhändler«, trugen Lederkleidung und Waffen. Die andere Hälfte, vor allem Frauen in schmutzigen Kleidern, war damit beschäftigt, Messer und Knüppel unter ihren Röcken und Hemden zu verstecken. Ein paar trugen die im Broken üblichen Jeans, andere die Kleidung des Weird, die an strategisch günstigen Stellen zerrissen war. Eine junge Frau bewegte sich mit einem Eimer Blut und einem Pinsel durch die Versammlung und bestrich den einen oder anderen Körper mit der Flüssigkeit.
Richard machte sich irgendwo da draußen bereit. George und Jack warteten eine halbe Meile von hier an einem guten Aussichtspunkt darauf, ihre Rolle in diesem Einsatz zu spielen. Richard hatte sie streng ermahnt, sich nicht blicken zu lassen, worauf die beiden Jungs ihm versichert hatten, dass sie so etwas nicht zum ersten Mal machten.
»Schön«, sagte Jason neben ihr.
Der Hund ließ ein tiefes Knurren hören. Charlotte tätschelte den großen schwarzen Kopf.
Sie hatte Jason nicht kommen hören. Er trug eine Mönchskutte. Nase und Wangen kreuzten Streifen weißer Farbe, während ein horizontaler schwarzer Streifen die Haut um seine Augen umschattete. Ein furchterregender Anblick.
»Müssten Sie nicht bei denen sein?« Mit einem Nicken wies er auf die Sklavinnen.
»Müsste ich wohl.« Sie ging hin und nahm ihren Platz zwischen zwei anderen »Sklavinnen« ein. Die Rothaarige mit dem Eimer blieb vor ihr stehen und schmierte ihr ein wenig Blut auf den Hals.
»Wessen Blut ist das?«, fragte Charlotte.
Die Rothaarige zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Ich hab das aus ’nem Fleischerladen.« Damit ging sie weiter.
Wenigstens kein Menschenblut.
»Haben Sie ein Messer?«, wollte ein schlankes, schmutziges Mädchen wissen. Irgendwie kam es ihr bekannt vor … Miko.
»Brauche ich nicht, danke.«
»Nehmen Sie ein Messer.« Miko bot ihr eine gebogene, gemein wirkende Klinge an. »Könnte Ihnen das Leben retten.«
»Und Sie?«
Das Mädchen grinste sie an. »Ich habe mehrere davon.«
Charlotte nahm die Klinge, schob sie in den Gürtel und zog ihre Tunika darüber. Als sie aufblickte, sah sie vor sich einen Geist durch die Menge stiefeln. Breitschultrig, in einer gefütterten Lederjacke, die Haare zum Pferdeschwanz gebunden, eine Augenklappe über dem linken Auge, führte er ein schwarzes Pferd am Zügel. Sein Name war Crow, und sie hatte ihn getötet. Hatte ihn mit den übrigen Sklavenhändlern auf jener Lichtung sterben sehen.
Ihr Herz hämmerte, sie wich einen Schritt zurück.
Crow kam weiter auf sie zu.
Na toll. Sie würde ihn noch mal töten. Schon rührten sich dunkle Tentakel.
»Charlotte?«, sagte der Einäugige mit Richards Stimme.
Sie hatte sich immer gerühmt, ihre Magie ausgezeichnet zu beherrschen. Kaum wollte die Magie ihr entfahren, um ihn zu töten, stellte ihr Hirn die Verbindung her, sie zog ihre Kraft zurück und verhinderte gerade noch rechtzeitig, dass sie ihn ermordete …
»Ja?«, fragte sie so beiläufig wie möglich.
»Geht’s Ihnen gut?«
»Ja.«
Nein. Nein, bitte, bringen Sie mich fort von hier.
»Sie sehen älter aus«, sagte sie, um etwas zu sagen. Sein Gesicht war von Runzeln übersät.
»Flüssiggummi«, erklärte Richard. »Verarbeitetes Harz, mit Wasser vermischt. Wenn man sich das ins Gesicht klatscht, zieht es sich beim Trocknen zusammen und sorgt für Falten.«
Er ähnelte dem Toten so sehr, dass ihr unheimlich wurde.
Richard beugte sich zu ihr. »Wenn wir die Insel erreichen, wird alles drunter- und drübergehen. Es kommt darauf an,
Weitere Kostenlose Bücher