Seelenverkäufer
anzurufen, dazu fehlte mir dann wieder der Mut. Und außerdem war es sehr fraglich, ob sie die Stadt nicht längst verlassen hatte.
So vergingen die Wochen. Hogendahl wohnte schon länger als vier Monate bei uns. Jeden Ultimo zahlte er seine Miete, allerdings immer nur fünfundzwanzig Mark und nicht dreißig, die er hatte zahlen wollen, wenn ihm das Zimmer gefiele. Mutter ließ das jedoch hingehen und meinte, so einen anspruchslosen Mieter wie unseren Ingenieur gäbe es bestimmt kein zweites Mal auf der Welt.
Manchmal gab er seine Hemden und das Bettzeug zum Waschen heraus, aber oft genug hörte ich ihn auch in seinem Zimmer plätschern, wenn er sein Unterzeug im Waschbecken wusch. Mutter durfte das natürlich nicht wissen, denn eben wegen solcher Kleinwäsche hatte sie ja etwas gegen weibliche Untermieter. Er schien auch einen elektrischen Kochtopf im Zimmer zu haben, denn zuweilen drehte sich die Scheibe am Zählwerk im Flur so schnell, daß man den roten Punkt mit bloßem Auge nicht mehr verfolgen konnte: Dann machte er sich eine Würfelsuppe oder ein Stück Kochwurst warm, die er sich zuvor von mir besorgen ließ. Den zusätzlichen Stromverbrauch zahlte er anstandslos, ohne sich unsere früheren Rechnungen auch nur anzusehen. Für Milch und Semmeln kam er ebenfalls pünktlich auf. Und regelmäßig lagen als Vorauszahlung für seine wöchentliche Zigarettenration fünf Mark fünfundzwanzig auf seiner Türschwelle.
Eines Sonnabends lag das Zigarettengeld nicht vor der Tür. Mutter legte es natürlich aus, weil sie davon überzeugt war, Hogendahl hätte es nur vergessen. Als dann aber drei Tage vergingen, ohne daß er daran dachte, das Wochengeld für Rauchen zu erstatten, wurde Mutter mißtrauisch und besprach die Sache mit Vater. Der meinte, er halte Hogendahl zwar für einen Ehrenmann, aber selbst Ehrenmännern ginge manchmal die Pinke aus. Aber er erlaubte Mutter, Hogendahl bis zu fünf Mark Kredit zu geben; wenn er dann noch immer in der Kreide stünde, müsse sie ihn mahnen.
Für mich verging die Woche in ängstlicher Spannung, für Mutter genauso. Jeden Morgen rechnete sie damit, das Geld auf der Schwelle zu finden, am Mittwoch, am Donnerstag, am Freitag — leider vergebens. Und siehe da: Als der Sonnabend kam, lagen zehn Mark fünfzig auf der Schwelle, das Geld für die vergangene und für die kommende Woche!
Mutter prustete vor Erleichterung, und Vater meinte, Ehrenmann bleibe Ehrenmann, da beiße die Maus keinen Faden ab. Ich aber hätte die fürchterlichste Abreibung meines Lebens bekommen, wenn Vater gewußt hätte, daß ich das Geld aus Mutters blauem Samtkasten in ihrer Kommode genommen hatte, das sie dort für schlimmste Notfälle aufbewahrte. Es war ihre eiserne Reserve, die sie nur angriff, wenn eine ganz unvorhersehbare Zahlung fällig wurde, eine Arztrechnung, eine Patenschaft oder dergleichen.
Wie das weitergehen sollte, war mir schleierhaft, aber fürs erste war Hogendahl geholfen. Am bedrohlichsten dabei war, daß Ultimo näherrückte, der Fälligkeitstermin für Miete, Stromrechnung und Milchgeld. Es blieb mir nichts übrig, als spätestens am nächsten Wochenende bei Hogendahl anzuklopfen. Aber er kam mir zuvor.
Am Freitag der zweiten Woche, in der er Zigaretten von dem Geld rauchte, das ich für ihn >ausgelegt< hatte, rief er mich ins rote Zimmer. Er sah, wenn das überhaupt möglich war, noch fahler und eingefallener aus als sonst, und blickte mich aus rotentzündeten Augen an. Er bedeckte sie oft mit der Hand, als täte ihm das Licht weh. Und er war auch in seiner Kleidung verlottert und hatte sich tagelang nicht mehr rasiert, denn der graugesprenkelte Bart bedeckte wie eine harte Bürste sein knochiges Gesicht.
»Meine Arbeit steht kurz vor dem Abschluß, Pitt«, sagte er, nachdem er mich auf einen Stuhl gedrückt und selber auf der Tischkante Platz genommen hatte. »Ja, hier in meinem Kopf steht die Konstruktion bis ins letzte Detail vollendet vor mir.« Dabei tippte er mit seinen Fingern gegen seine Stirn.
»Das freut mich aber mächtig, Herr Hogendahl!« rief ich und war wirklich froh für ihn.
»Ich glaub’s dir«, sagte er und nickte mir zu; »aber ich habe dich nicht deshalb zu mir gerufen, sondern wegen einer anderen Sache. — Ich bin nämlich mit meinem Geld am Ende.«
»Ach du lieber Gott«, seufzte ich auf, »das ist allerdings eine sehr böse Geschichte!«
Er preßte die Lippen zusammen und schob das Kinn vor. »Ja, das ist mehr als böse«, sagte er und nickte,
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