Seelenverkäufer
Nacht überhaupt nicht ins Bett gekommen ist, denn als ich mich morgens zum Frühstück in der Küche einfand, da saß er bereits auf meinem Stuhl und redete mit Vater.
Entweder hatte der gänzliche Fehlschlag seiner Pläne ihn völlig verzweifelt gemacht, oder es war die schlaflos verbrachte Nacht, die in seinem sonst doch so klaren Kopf Blasen trieb, daß er meinem Vater wahrhaftig allen Ernstes vorschlug, sich an der Verwirklichung seiner Ideen als Geldgeber zu beteiligen! Meine Mutter, die am Gasherd stand, vergaß vor Schreck die Hafergrütze umzurühren, so daß ein brenzliger Geruch durch die Küche zog. Vater, mit seiner Tageskasse von vierzig oder fünfzig Mark, saß da wie vom Blitz getroffen.
»Ihnen gehört doch das Haus, Herr Tümmler«, flüsterte Hogendahl eindringlich und blickte dabei um sich und zur Decke hinauf wie ein Hypothekenbeleiher beim Schätzungsrundgang.
Als ich das hörte, zog ich mein Genick ein und machte mich auf dasselbe Donnerwetter gefaßt, wie es vor einigen Jahren über meine Schwester Mieze hereingebrochen war, als sie wegen ihrer Aussteuer dem Vater dreist und gottesfürchtig mit Hypothekenvorschlägen dahergekommen war. Das Haus! Das war doch sozusagen Vaters Existenzgrundlage — der Boden unter seinen Füßen! Bei jeder Gelegenheit pflegte er zu sagen: >Und wenn es uns auch einmal noch so dreckig gehen sollte, dann haben wir wenigstens ein Dach überm Kopf und die Mieteinnahmen von den Kapitäns oben.<
Wahrscheinlich merkte Vater genau, was mit Hogendahl los war und was da aus ihm sprach, denn er schüttelte nur den Kopf und sagte in aller Freundlichkeit, aber sehr bestimmt: »Nee, Herr Hogendahl, das schlagen Sie sich man aus dem Kopf. Am Haus, da gibt es nichts zu tippen; wo ich wohne, da muß jeder Ziegelstein mir gehören, wenn ich mich in meinen vier Wänden wohl fühlen soll. Und überhaupt verstehe ich nichts von solchen Geschäften wie den Ihrigen, da müssen Sie sich schon andere Leute suchen.« Punkt und Schluß und Streusand drüber. Aber mir war nach dieser Geschichte klar, daß hier etwas geschehen mußte, ehe Hogendahl kaputtging und, wenn auch nicht gleich den Verstand, so doch zumindest jede Haltung und Übersicht verlor.
Wenn überhaupt, dann mußte schnell etwas für ihn geschehen, denn er hatte uns ja nicht darüber im unklaren gelassen, daß er völlig abgebrannt war. Nun waren meine Eltern schließlich keine Unmenschen und keine gewerbsmäßigen Zimmervermieter. Bei solchen Leuten wäre Hogendahl Gefahr gelaufen, samt seinen Siebensachen hinauszufliegen, wenn er seinen Mietzins nicht pünktlich zahlen konnte. Und außerdem hatte meine Mutter, weil er eben ihr erster Zimmerherr war und ein grundanständiger Mensch dazu, so was wie ein Herz für ihn. Aber Gott allein wußte, wie lange das Vorhalten mochte und wie lange wir ihn gegen Vater, der in solchen Dingen sehr nüchtern dachte, in Schutz nehmen konnten.
Mir war im gleichen Augenblick, in dem Hogendahl von seiner Reise so erfolglos und enttäuscht zurückgekommen war, der einzige Ausweg eingefallen, der ihn noch retten konnte. Und wenn ich in der letzten Nacht mit dem Vorschlag einer Zeitungsanzeige dahergekommen war, so doch nur deshalb, weil ich mich einfach nicht getraut hatte, mit der anderen Idee herauszurücken. Denn nach allem, was geschehen war, mußte das natürlich auf ihn wirken wie auf den Stier das rote Tuch: jawohl, ich dachte an Don Saraiva!
Und richtig, als ich einmal im Verlauf des Tages diesen Namen nur ganz vorsichtig antippte, da fuhr er mir gleich saugrob über das Maul, wie ich ihn noch nie erlebt hatte. Selbstverständlich bog ich sofort ab und hütete mich, in den folgenden Tagen auch nur so auszusehen, als ob ich an den Brasilianer dächte.
Es war schlimm anzusehen, wie Hogendahl fast Zusehens verfiel. Er schmolz innerlich und äußerlich zusammen und schlich herum wie von einer heimtückischen Krankheit befallen. Tagsüber saß er zumeist stumpfsinnig stumm in seinem Zimmer, oder er kam in die Küche, um sich an einer Tasse Tee die Finger zu wärmen und meiner Mutter was vorzujammern. In ihrer Gutmütigkeit und Herzlichkeit versuchte sie ihn ein bißchen aufzumuntern; sie steckte ihm auch hier und da etwas Gutes zu. Aber es nützte nichts. Ihn hatte es innerlich tief gepackt. Und gegen Melancholie helfen keine Butterbrote.
Da griff ich, wie man so sagt, in die Speichen, um den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Es war vielleicht gemein, wie ich es anfing und ihn quälte,
Weitere Kostenlose Bücher