Seelenverkäufer
vor vierzehn Tagen siebzehn geworden. Aber das konnte er von mir aus halten, wie er wollte.
Zum Schluß kam ich zu Fräulein Lydia. Sie drückte mir fest die Hand und sah mich aus ihren dunklen Augen ernst an. »Ja, Pitt, das ist wohl unsre erste Seereise — hoffentlich...« Sie wollte noch etwas hinzufügen, sprach es dann allerdings doch nicht aus, sondern nickte mir nur freundlich zu. Ich hatte das Gefühl, als hätte sie sagen wollen, sie sei sich nicht ganz sicher, ob es für uns beide nicht besser gewesen wäre, an Land zu bleiben.
Vielleicht war es nur eine Einbildung von mir, aber während des ganzen Essens wurde ich den Eindruck nicht los, daß sie irgendwie bedrückt war. Don Saraiva spreizte sich vor ihr wie ein Pfau, er erzählte Geschichten und Witze und ließ nicht nach, sie zum Essen zu nötigen und ihr von allem aufzulegen, was der Steward auf blitzenden Silberplatten und in Kristallschalen hereintrug. Aber sie war sehr zugeknöpft gegen ihn, und an ihrer zeitweiligen Verlegenheit merkte ich, daß sie selber einen Widerspruch in Don Saraivas Verhalten und in ihrer Stellung als Sekretärin zu empfinden schien. Wahrhaftig, es war direkt herausfordernd, wie besorgt er sich um sie bemühte, gerade so, als wolle er alle Anwesenden wissen lassen, wer hier als Hahn im Korb zu respektieren sei.
Und dabei war sie doch weiß Gott nicht so eine wie die Tippfräuleins im Kintopp auf der Leinwand, wo es ja üblich ist, daß die jungen Damen zigarettenrauchend auf dem Schreibtisch sitzen, wenn der Chef nicht da ist, und wenn er kommt, auf seinen Schoß überwechseln und zu ihm >Bubi< oder >Dickerchen< sagen. Nein, so eine war sie nicht! Aber er tat gerade so, als ob sie eine solche wäre, der Schuft!
Ich bemerkte, daß ihr Blick manchmal Hogendahl suchte, und es lagen versteckte Fragen in ihren Augen, als wüßte sie gern, was er von ihr dachte. Hogendahl sah sie jedoch überhaupt nicht an, und wenn er ihr eine Schüssel zureichen mußte, dann tat er das mit einem höflichen und leeren Gesichtsausdruck. Je länger ich Fräulein Lydia beobachtete, um so mehr verstärkte sich bei mir die Gewißheit, daß sie wirklich in der Meinung an Bord gekommen war, hier an der Schreibmaschine und mit dem Stenogrammblock zu arbeiten — und nicht als Don Saraivas Gesellschaftsdame, wenn man schon kein stärkeres Wort gebrauchen will.
>Du mußt sie warnen, Pitt!< rief mir eine innere Stimme zu. >Du mußt ihr eine Warnung zukommen lassen, denn sie weiß bestimmt nicht, was sie auf der >Esperanza< von Don Saraiva zu erwarten hat!<
Aber das war unmöglich, denn wie sollte ich es anstellen, mit ihr unter vier Augen zu sprechen? Was konnte ich also tun? Es blieb nur der Ausweg übrig, ihr zu schreiben. Morgen früh durfte sie nicht mehr an Bord sein! Und irgendwo und irgendwann mußte es eine Gelegenheit für mich geben, ihr meinen Brief zuzustecken. Ich fieberte vor Aufregung und würgte an den Bissen, die der Steward mir auf den Teller legte, obwohl ich so gute und schmackhaft zubereitete Speisen noch nie in meinem Leben vorgesetzt bekommen hatte. Ich erhob mich von der Tafel: niemand außer Fräulein Lydia beachtete mich. Vielleicht dachte sie, mir sei nicht gut. Ich machte gegen die ganze Tischgesellschaft hin meinen Diener und gab ihr dabei mit den Augen ein Zeichen. >Paß auf!< sollte es heißen. Aber sie hob nur etwas erstaunt die Augenbrauen. Dann rannte ich in meine Kammer.
Und da saß ich nun. Jeden Augenblick konnte drüben im roten Salon die Tafel aufgehoben werden. Wie sollte ich aber zu ihr kommen, wenn sie erst einmal in ihrer Kabine war? Ich wußte nicht einmal, wo sie sich einlogiert hatte. Auf jeden Fall mußte ich vermeiden, daß Hogendahl mich beim Schreiben erwischte, obwohl ich mir schon die gute Ausrede zurechtgelegt hatte, daß es der letzte Brief vor der Ausreise an meine Eltern sei. Ihn ins Vertrauen zu ziehen wagte ich nicht, denn ich zweifelte stark daran, mit meiner Warnung an Fräulein Cornelius bei Hogendahl auf das richtige Verständnis zu stoßen.
>Sehr geehrtes Fräulein<, kritzelte ich mit Hogendahls Füllhalter auf ein Blatt aus seinem Briefblock, >ich weiß genau, daß Sie an Bord etwas anderes erwartet, als das, was Sie in Ihrer Unschuld denken. Vielleicht halten Sie Don Saraiva für einen >Schentelman<, aber Sie dürfen mir glauben, daß ich es gut und ehrlich mit Ihnen meine, wenn ich Sie inständig bitte, das Schiff zu verlassen, solange es hier an der Pier liegt. Schon morgen ist es zu
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