SeelenZauber - Die Wahrheit (German Edition)
verstanden?
Liran ging weiter, huschte durch ein paar Büsche, setzte über die niedrige Mauer, die nicht einmal kniehoch war und verschwand zwischen den schroffen Felsen. Der unbändige Wunsch wegzulaufen erfüllte ihn. Er riss Grasbüschel heraus, strich mit den Händen über die Flechten, das Moos auf den Steinen und saugte alles in seine Adern.
Der Moment verflog.
Er sah zurück zum Haus und setzte sich zwischen zwei mannshohe graue Steine. Das hier war nicht mehr seine Heimat. Dies war nur noch ein Hauch dessen, was sie einmal gewesen war. Sie kannten sich noch, aber sie waren Fremde geworden. Beide, er und die Insel, bestanden nur noch aus fernen, nicht mehr gesungenen Liedern.
Er hörte eine dieser Maschinen kommen und sah auf. Blau und leuchtend kam sie auf den Weg gefahren, der zum Haus führte. Augenblicke später sah er Nilah durch den Garten rennen und gleichzeitig Daan aussteigen. Sie lief ihm Papa , Papa rufend entgegen. Beide breiteten die Arme aus und umschlangen Sekunden später einander, als wollten sie nie wieder loslassen. Liran wollte gerade den Blick abwenden, als er eine Frau aus der anderen Tür steigen sah. Ihre wilde Schönheit registrierte er nur oberflächlich, denn sein geübtes Auge richtete sich auf etwas Anderes. Auf ihre Bewegungen. Liran legte den Kopf an den Felsen, schaute genauer und war sich sofort sicher. Wer immer diese Frau war, sie hatte irgendwann zu kämpfen gelernt. Sie war Linkshänderin und sie hielt diese Hand etwas zu nah an ihrem Rücken. Also trug sie dort eine Waffe. Ihre Schritte waren viel zu sicher, ihr Blick willkürlich, aber sondierend. Sie wusste, wer sie war und wollte sofort wissen, wo sie war.
Nicht oft hatte er einen solchen Blick gesehen, der so intensiv und doch so unscheinbar wirkte. Hätte er es nicht besser gewusst, er hätte geglaubt eine verwandte Seele seiner Schwester zu sehen.
Aber dann geschah etwas Unerwartetes. Nilah umarmte auch die Frau. Sie sprachen dabei kurz miteinander, wobei die Frau mit den schwarzen Locken in Daans Richtung deutete. Nilah löste sich, etwas benommen wie er meinte, und wandte sich dann wieder ihrem Vater zu. Die beiden schienen schnell über etwas zu reden, wobei irgendwie jeder der Erste sein wollte. Dann gingen sie langsam nebeneinander her zu der äußersten Begrenzungsmauer des Gartens und setzten sich. Beide starrten lange auf die Bay.
Die Frau sah den beiden nach und lächelte zufrieden.
Als aber die De La Rosas in den Garten traten und recht verwirrt wirkten, fing die Frau sie ab und stupste das Ehepaar sanft, aber bestimmt wieder in den Wintergarten. Dann waren sie nicht mehr zu sehen.
Voller Sehnsucht schaute Liran zu, wie die beiden als Familie miteinander redeten. Dann fand er es plötzlich sehr unschicklich, ihnen dabei zuzusehen und stand unvermittelt auf. Er kletterte höher in den Hügel, lautlos und geduckt.
Nilah war sprachlos. Sie musste erst einmal tief durchatmen und die Worte verdauen, die noch immer wie eine Spirale in ihrem Kopf wirbelten. Ihr Vater hatte ihr gerade offenbart, wie der dunkle, lichtfressende und tiefe See in ihr entstanden war. Eine Seite wollte ihm verzeihen, die andere aber glaubte, dass Schweigen der bessere Weg sei und so starrte sie in den grauen Himmel, der mehr und mehr der nahenden Nacht den nötigen Raum überließ.
Sie kaute auf ihrer Unterlippe herum, als würde das helfen. Sie schüttelte leise und in sich gekehrt den Kopf, als könnten damit Antworten aus ihren Haaren fallen. Sie hatte das dringende Bedürfnis ihren Vater zu berühren und brachte es trotzdem nicht zustande ihn auch nur anzusehen.
War sie böse auf ihn? Sie wusste es nicht. Hatte er mit seiner Harmoniesucht erst all das überhaupt ermöglicht, was geschehen war? Was wäre aus ihrem Leben geworden, wenn er schon viel früher gehandelt hätte? Auf eine unsinnige und absurde Weise fühlte sie sich verraten und das tat mehr weh, als all das, was sie eben gehört hatte.
Das Fatale an diesen Worten war, dass sie ihr ganzes Leben ins Wanken brachten. Jedes Gefühl, das sie hatte, wurde in seinen Fundamenten erschüttert, bekam Risse. Es war, als hätte jemand auf dem Sterbebett liegend mit seinen letzten gemurmelten Worten ein Gemälde zerschnitten, das man seit seiner Kindheit stolz und voller Vertrauen betrachtet hatte. Wenn schon diese Täuschung existierte, wie viele weitere gab es dann noch?
Wurde man so erwachsen? Indem die Eltern wie alte Bäume fielen, von denen man gedacht hatte,
Weitere Kostenlose Bücher