SeelenZauber - Die Wahrheit (German Edition)
Nein.‹ Nilah fühlte sich nicht gut.
»Ich bin Mitglied bei ... wen interessiert das, verdammt? Ich würde keinem Lebewesen je etwas antun.« Was für ein jämmerlicher, zerbrechlicher Schild.
»Ich bin gemacht aus Zeit und Licht, Nilah. Ich habe diese Welt gesehen, als sie zu atmen begonnen hat. Und ich werde dabei sein, wenn ihr Sein zu schlagen aufhören wird. Sie wird ihren Lauf nehmen, so wie jeder von uns.«
Nilah begann zu weinen.
»Nein, du verstehst nicht! Wir sind 7 Milliarden Menschen. Pro Tag kommen über zweihunderttausend dazu! Und sie alle behandeln die Schöpfung wie ein riesiges Glas Wasser. 7 Milliarden Menschen, die ihren Strohhalm in die Erde stecken und saugen und saugen und saugen, bis das Glas selbst aufhört zu existieren. Und die Reichen unter ihnen nehmen gleich mehrere Strohhalme. Es wird keine Schöpfung mehr geben, wenn wir Menschen erst mit ihr fertig sind. Nur noch ... endlose Leere!«
Nilah war verzweifelt. Sie wollte etwas verständlich machen, das sie selbst nicht wirklich verstand, und, so bitter es war, von dem sie selbst ein Teil war. Ein winziges Rädchen, das sich unaufhörlich mitdrehte. Ein Perpetuum mobile der Vernichtung. Ein zeitloser Fresser, der Energie, Licht, Luft, Erde, Wasser, Bäume und alles andere verschlang, das diese Welt so wunderbar machte. Jedes iPhone, jede Gedichtzeile, die sie aufgeschrieben hatte, jede Sendung im Fernsehen, die ihr so nahe gegangen war, jedes Buch, aus dem ihr Vater vorgelesen hatte, jedes Stück Tofu, das sie aß, war von diesem blauen Planeten genommen. Sie war kein Teil der Schöpfung. ›Sie war die Vernichterin der Schöpfung.‹ Sie lächelte bitter.
»Jene, die etwas ändern wollen, die sich einsetzen für die Welt, sind so wenige. Die große Masse der Stillschweigenden - die zwar sehen, was passiert, aber trotzdem nichts tun, weil es ihnen zu anstrengend ist - wird die wenigen wie mich immer um ein Vielfaches übertreffen. Die Erde wird an ihrer eigenen Dummheit ersticken.« All die Schimpfwörter kamen ihr in den Sinn, die ihre Mitschüler für sie gehabt hatten. Einmal hatten ein paar besonders liebenswerte Idioten von ihnen eine eigene Facebook-Seite für sie eröffnet: Algen-Nilah . Mit fiesen Photoshopbildern geschmückt, mit Kommentaren, die klangen als müsse man eine Hexe vertreiben, sie hatten schon digitales Holz aufgestapelt und Fackeln in den Händen getragen. Vielleicht hätten sie ihr einen grünen Stern auf die Jacke nähen sollen. Nilah van Arten, der Untergang ihrer Lebensart, ihres Rechtes auf soviel Blut, wie sie wollten. Von einem Tag zum anderen war die Seite verschwunden gewesen, zwei der Initiatoren wechselten abrupt nicht nur die Schule, sondern das ganze Bundesland.
›Das kann ich nicht beschützen.‹
»So lange schon warte ich auf dich. Und ich erlebe ein Herz, das eines Drachens würdig wäre.« Die Frau begann zu lächeln.
»Ich ... ich habe wirklich einen Drachen in mir. Ich meine, er ...«
»Ich weiß!«
Sie wusste. Natürlich!
»Er sagte: Unter seinem Blick entstand die Welt.« Die Frau sah in den Sand zu ihren Füßen.
»Wenn alles Leben ineinanderfließt, Nilah, auf welchen Punkt willst du dann deuten? Auf ein Wesen, welches mich erschuf? Wer oder was erschuf dann dieses Wesen? Und wo wiederum liegt dessen Ursprung? Du kannst aus einem Kreis keine Linie machen, aber du kannst einen weiteren Kreis hinzufügen.«
»Der Homo sapiens sapiens existiert noch nicht lang. Aber sieh nur, was er in der kurzen Zeit angerichtet hat. Gib ihm noch ne Minute, dann hat sich das erledigt.«
»Du sprichst von Zeiträumen, die du nicht annähernd erfassen kannst, Nilah. Und doch hast du einen Splitter davon mitten in dir, nur einen kurzen, winzigen Augenblick, der dich mehr geformt hat, als alles andere. Wie konnte sich so viel Schatten in so wenig Lebenszeit versammeln? Warum haderst du so sehr mit der Schöpfung, mit mir?«
»Nicht mit dir, aber ich denke, dass wir sie nicht verdient haben.« Nilah blickte trotzig zurück.
»Und doch hat genau diese Schöpfung Menschen wie dich hervor gebracht. Deinen Vater und einen jungen Mann, der deine Seele auf eine Weise berühren kann, wie nichts anderes, das existiert.«
»Warum hast du diese Welt nur erschaffen? Mich?«
»Weil es meine Natur ist.«
Nilah wollte etwas erwidern, aber sie hielt den Mund. Weil es nichts zu erwidern gab. Nur Schweigen blieb übrig.
Liran schwieg ebenfalls.
Eingeschlossen im Gewebe eines mächtigen Baumes,
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