SeelenZauber - Die Wahrheit (German Edition)
Halle, wo seine Schritte wie Hammerschläge klangen. Sie folgte ihm.
Als sie die Halle betrat, überkam sie ein Schauder. Die Bibliothek war das Innere des Schiffs, aus dem man die Decks entfernt hatte. Wie die Rippen eines schlafenden Tieres bogen sich die Spanten in luftige Höhe, verkleidet mit dunklen Planken und Nieten. An beiden Seiten, aufgereiht wie große Dominosteine, standen die Bücherregale, die schweigend und einsam wirkten, so ohne jedes Buch darin. Als sie den Kopf in den Nacken legte, sah sie, dass weiter oben eine Galerie um den bauchig geformten Rumpf lief. Dort standen ebenfalls Regale, kleiner und schmächtiger als ihre Brüder hier unten, aber ebenso leer. Die Decke bestand aus einem alten, wie in der Bewegung erstarrten Segel. Durch seine Löcher und Risse fiel das Licht in Säulen herunter und verlieh dem Ort etwas, das man ganz tief im Bauch spürte.
Zwischen den Regalen waren Tische mit Kerzenhaltern. In dem breiten Gang, der wie eine Straße durch die beiden Reihen lief, waren ein paar Oasen zum Ausruhen und Träumen. Bequem aussehende Sofas mit vielen Kissen und Ohrensessel, kleine runde Tische, auf die man seine Teetasse stellen konnte oder Schalen mit Keksen. Es musste ein wunderschöner und vollkommener Ort gewesen sein, als all die Bücher noch da gewesen waren und die Menschen, die lesend andere Welten betraten. Nilah hätte diese Bibliothek geliebt, wahrscheinlich hätte sie ein Zelt zwischen all diesen Dingen aufgestellt und zwischen den Büchern übernachtet.
»Nun komm, Nilah«, rief Ahab und stieg umständlich eine schmale Treppe hinauf:»Schließlich hast Du das alles schon einmal gesehen.«
Nilah beschleunigte ihre Schritte, lief die Treppe hinauf und folgte dem Bibliothekar in einen großen Raum, der sie erneut staunen ließ. Niedrig, von drei Balken durchzogen und am hinteren Ende ein breiter Sims mit schrägen Fenstern. So hatten immer die Kapitänskajüten in den alten Piratenfilmen ausgesehen. Ein breiter Tisch mit allerlei Zeugs darauf stand vor den schrägen Fenstern und zwei Sessel an den langen, jeweils gegenüberliegenden Seiten. Ahab ließ sich geräuschvoll in einen fallen. Die hölzernen Wände waren allesamt weiß gestrichen, was der Kajüte etwas Freundliches gab. Nilah setzte sich ebenfalls und spähte über den Tisch. Karten lagen da, einige aufgerollt, andere mit Gegenständen an den Seiten beschwert, damit man sie, ohne sie ständig festhalten zu müssen, studieren konnte. Aber es waren keine Seekarten, wie es der Raum vermuten ließ, sondern Grundrisszeichnungen von verschiedenen Gebäuden oder etwas Ähnliches. Bronzene Kompasse, Sextanten, Stifte, Federkiele und Zirkel lagen auf den Karten, als hätte man noch vor Kurzem daran gearbeitet.
Ahab nahm seinen Zylinder ab und fuhr sich durchs Haar. Seine durchdringenden Augen blickten Nilah an und sie konnte gar nicht glauben, dass der Mann blind sein sollte. Er schien sie wahrzunehmen, jede Bewegung, selbst wenn sie den Blick auf etwas legte, folgten seine Augen den ihren. Es war unheimlich.
»Du fragst dich, ob ich wirklich blind bin, oder? Nun, ich bin es. Sie haben mir nicht die Augen geblendet oder mit glühenden Kohlen verbrannt, nein, das hätte ich wie eine echte Verwundung besser ertragen. Sie haben meinen Kopf in eine Schraubzwinge gesteckt und mit einer Nadel in das Auge gestochen und den Sehnerv durchtrennt. Alles fühlte sich genauso an wie vorher, nur das dort, wo vorher Licht war, nun Schwärze ist.«
»Das tut mir sehr leid«. Nilah musste schlucken. Das war grausam.
»Du trägst keine Schuld daran, du nicht...« Er schwieg, offenbar von Gefühlen übermannt.
»Sie sagten vorhin, dass ich das alles schon einmal gesehen habe, diese Bibliothek. Ich kann mich aber nicht daran erinnern, schon einmal hier gewesen zu sein. Sinuhe sagte, ich sei hier Zuhause und erzählte mir die Geschichte einer Stadt, die ich nicht kenne, verdammt noch mal. Plötzlich aber war da ein Name, den ich nicht aussprechen sollte ... Liran, aber was dieser Name bedeutete und warum er mir einfiel, weiß ich auch nicht. Ich weiß überhaupt nichts ... ich...« Sie fing an zu weinen.
Ahab griff in die Tasche seines Gehrocks und holte ein Taschentuch heraus, das er Nilah reichte. Sie nahm es und wischte damit über ihre Augen. Besser fühlte sie sich dadurch nicht.
Der Kapitän nahm eine Pfeife zur Hand, stopfte sie und hielt dann ein Streichholz an den kleinen, walförmigen Tonkopf am Ende eines langen dünnen
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