SeelenZauber - Die Wahrheit (German Edition)
hinunter.
Ständig musste man sich nun festhalten, abstützen oder einen schnellen Ausfallschritt machen, wollte man nicht hinschlagen, sich den Kopf stoßen oder über Bord gehen. So seefest war Nilah dann doch nicht. Der Bretone schien jede Bewegung, die das Schiff machte, schon im Voraus zu erahnen. Er stand wie ein Fels am Ruder, schwankend, aber sicher.
Der Himmel schien sich nun mit seinem schwarzen Bauch bis auf das Wasser zu wölben. Es herrschte zwielichtige Dunkelheit, als dieser Bauch platzte und ein sintflutartiger Sturzregen aus ihm heraus brach, der die Welt in wehende Schleier tauchte. Die Menschen sprachen oft von der Gewalt der Natur. Verglichen die Verwüstung von Stürmen mit Bombenangriffen oder nannten sie verheerend, als ob die Natur einen heimtückischen Krieg gegen sie führen würde. Aber dies waren nur die Worte der eigenen menschlichen Natur. Das da draußen war ein lebendiges Wesen!
Jean Luc versuchte krampfhaft durch die Scheibe zu spähen, doch tausende daran zerplatzende Tropfen versperrten den Blick. Aber er hatte ja noch sein Sonar und so änderte er ein ums andere Mal den Kurs anhand der zwei leuchtenden Punkte, die darauf immer dann aufblitzten, wenn der kreisende Balken über sie kam. Doch kaum hatte er den Kurs geändert, da folgten ihm die beiden Punkte nach wenigen Augenblicken nach, als könnten sie in der Dunkelheit besser sehen, als diese hoch entwickelte Technik. Er fluchte. Wildes bretonisches Fluchen.
Blitze zuckten nun durch die Schwärze und tauchten Herzschläge lang das ganze schäumende Meer in bizarre Helligkeit. Nilah sah Wellen, so groß wie Weizenfelder, die sich wie ein Atemzug hoben und dann wieder in die Tiefe rollten. Es war, als stehe man im Zentrum der Schöpfung selbst und wurde auf seinen wirklichen Platz darin verwiesen.
Wie auf ein Kommando hin wurde der Regen plötzlich schwächer, die Tropfen leichter. Der Schleier löste sich etwas auf, als sich ein schwarzes Segel wie ein riesiges Leichentuch aus einem Wellenberg erhob und auf sie zu kam. Nilah schrie es Jean Luc zu. Der drehte sich um und blickte auf ein Ungetüm aus Holz und Segeln, als davon eine Flammenkugel abhob, durch den Sturm schoss und sich keine zehn Meter hinter ihrem Heck in die See bohrte. Ein Knall war zu hören und dann brannte plötzlich das Meer.
Grell gelbes Licht jagte durch die Dunkelheit und den Regen. Jean Luc riss das Steuer herum und Nilah musste sich an der Tür festklammern, um nicht zu stürzen. Liran drängte sich nach draußen, seine Haare waren auf einen Schlag klatschnass und die Zöpfe wehten ihm wie Schlangen um seinen Kopf. Mühsam hielt er sich an der Reling fest und wandte den Blick zu allen Seiten. Sie wollte ihn gerade zurück rufen, als das zweite Schiff neben ihnen erschien. Es senkte sich Backbord mit ihnen zusammen in ein Wellental, keine dreißig Schritt entfernt. Nilah stockte der Atem. Wie eine gigantische hölzerne Spinne mit dutzenden Beinen stakten die Ruder aus seinem Rumpf und wühlten in der See. Doch als sie den Blick hob, war es, als ob alle Albträume wie auf einen Ruf in sie strömten. Zwischen mannshohen runden Schilden, die an der Bordwand entlang befestigt waren, standen zwei Gestalten. Eine Faust hatten sie um eines der Taue geklammert, die andere hielt eine hell schimmernde Axt, die hüfthoch mit einem monströsen Blatt versehen war, das die Größe eines Autoreifens hatte. Stumm standen sie da und starrten zu ihnen herüber, dieselben Wellen nehmend wie sie. Nilahs Mund war trocken, sie konnte nicht schlucken, nicht rufen. Als das Schiff Welle für Welle näher an sie heranrückte, begriff sie, was die beiden Männer dort oben wollten. Sie wollten sie entern.
Liran schrie etwas, das sie nicht verstand. Er nahm einen Bootshaken, befestigte mit einem dünnen Seil eine der großen Steinspitzen ihres Vaters daran, stellte sich so hin, dass er Halt auf den Planken fand und nahm Maß. Sie wusste, er würde mit der Kraft eines Baumes dieses Ding schleudern. Das Schiff war jetzt nur noch zwanzig Schritt von ihrer Backbordseite entfernt und seine Ruder würden bald ihren Rumpf streifen. Nilah blickte zum Ruderhaus, weil sie nicht verstand, warum der Bretone das Steuer nicht herumriss, um Abstand zwischen sie zu bringen. Anscheinend wollte Jean Luc genau das nicht. Er hielt Kurs und ließ die anderen handeln.
Nilah hörte einen unmenschlichen Schrei, riss den Kopf herum und sah einen der Axtmänner in die Fluten fallen, wo er auf einige
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