SeelenZauber - Die Wahrheit (German Edition)
Dieses Schiff ist wie geschaffen für raue See. Schließlich soll es ja in Zukunft vor deiner Insel kreuzen. Aber wenn ich dich so ansehe, könnte man meinen, du und das Meer habt noch eine alte Rechnung offen.« Er lachte wieder.
Liran erforschte die Augen des Mannes. Dann sah er wieder aus dem Fenster. Plötzlich musste er an die rote Muschel denken, die er damals am Strand gefunden hatte. Kein gutes Omen.
Jean Luc konzentrierte sich auf seine Instrumente. Das Lachen war ihm vergangen. Er hatte doch nur einen Scherz machen wollen, als er das mit der alten Rechnung gesagt hatte. Aber in den Augen dieses jungen Mannes, die so unwirklich blau waren, hatte er für einen Moment etwas gesehen, das ihm sagte, er sei mit dieser Vermutung ganz nahe an der Wahrheit gelandet.
Jean Luc kannte jede Menge Seemannsgarn. Geschichten, die weit über jede Logik hinausgingen und mehr der Mystik und dem Aberglauben zuzuschreiben waren, denn der Wirklichkeit. Aber er war am Meer aufgewachsen, hatte schon als Baby die Seeluft geschnuppert und war auf allem, was auf dem Wasser treiben konnte, mehr zu Hause als auf festem Boden.
Natürlich sahen es die Fischer und alle, die das Meer befuhren, mit anderen Augen. Für sie hatte das Meer eine Seele. Manchmal forderte diese Seele ihren Tribut. Oft hatte er miterlebt, dass Fischerboote nicht mehr zurückkehrten, verschwunden blieben, als hätte sie ein riesiges Ungeheuer verschluckt und in die Tiefe gezogen. Er kannte die unermessliche Trauer, wenn man nicht einmal einen Körper zurück bekam, den man bestatten, dessen Grab man besuchen konnte. Es blieb nur eine Inschrift auf einer Tafel, wo all jene aufgeführt waren, die die See zu sich genommen hatte. Und diese Liste war lang.
Aber diese Trauer war auch anders. Trotz allem respektierte man das Meer und manchen fiel es leichter, einen Mann, Bruder oder Onkel an das Meer zu verlieren als an eine schlimme Krankheit oder einen Unfall. Man wusste, man hatte hin und wieder solch einen Preis zu zahlen. Das Meer ernährte sie und dafür nahm es auch mal ein Leben. So lebte man seit Jahrhunderten.
Sorgen machte sich Jean Luc deshalb aber nicht. Dieses Schiff lag wie ein Delphin im Wasser. Er hatte schon alles auf dem Wasser erlebt. Es gab nichts, womit er nicht fertig wurde. Sie hatten genug Proviant an Bord. Solange ihnen kein Meteorit auf den Kopf fiel oder Gott persönlich ihnen den Kiel aufriss, solange würden sie auch heil ankommen. Er würde seinen Kunden das Boot bringen, Nilah und Liran würden tun, was sie eben tun mussten, und er würde sich ganz schnell wieder auf den Weg nach Hause machen. Alles ganz einfach.
Nilah vermisste ihren Vater. Der Wind strich durch ihre Haare. Ein kühler, unruhiger Wind. Hinter ihr im Osten ging die Sonne auf, färbte Himmel und Meer in strahlende Farben. Weit oben hingen schnurgerade Kondensstreifen von Flugzeugen und leuchteten rot-golden. Das rote Segel hing wie ein mächtiger Bauch im Wind und zog sie über den Atlantik. Welch majestätische Art sich zu bewegen, während man still auf einem Fleck stand. Sie segelten einen weiten Bogen und würden sich dann mit dem Golfstrom Richtung Norden der Westküste Irlands nähern. Jean Luc sah trotz des guten Wetters immer wieder stirnrunzelnd in den Himmel. Es war die Zeit der Herbststürme und die konnten schneller über einen kommen als man Hoppla sagen konnte.
Die Gischt, die der Bug zu beiden Seiten spritzen ließ, wurde höher und ihr Herz schlug schneller. Jetzt war es langsam wirklich segeln. Ah, sie liebte dieses Auf und Ab. Jean Luc kam aus dem Ruderhaus und grinste.
»Wollen doch mal sehen, was die junge Lady kann!«, rief er aus und berührte liebevoll die kleine Glocke, die im Wind helle Töne von sich gab. Nilah hielt sich mit einer Hand am Mast fest und lehnte sich weit auf die Seite, so dass sie gut über die Reling sehen konnte. Das Meer rauschte nur so an ihnen vorbei, das Segel knatterte, als würde es sich freuen, den Wind auf seiner Segelhaut zu spüren. Der Anblick war wirklich atemberaubend. Der blaue Himmel, das dunkelblaue Wasser so weit das Auge reichte und dieses wundervoll geschwungene Boot, das mit seinem tiefbraunen Holz darüber glitt wie ein junges Fohlen.
»Das Boot liegt Wahnsinn«, schrie sie Jean Luc zu.
»Jaaaa!«, rief er aus.»Als ob Seide über Seide gleitet!«
Nilah ging zum Bug, stellte einen Fuß auf den Rand der Reling, den anderen in eine Schlaufe auf das Deck und brüllte. Der Wind riss ihr die
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