Seelenzorn
Blick spüren musste und nicht alles zwischen ihnen kaputt gemacht hatte. Was für sie mal wieder typisch war.
Trotz des prasselnden Feuers in der Blechtonne neben ihr war es kalt, und das war ihr ganz recht. So hatte sie eine Entschuldigung, sich in ihren Mantel zu verkriechen und mit gesenktem Kopf gegen das Geländer gelehnt für sich zu bleiben.
Nach der Schneeschmelze des Tages strömte das eisige Wasser des Eternity River so schnell und reißend, dass die Brücke vibrierte. Einen Moment lang stellte sich Chess vor, wie sie zusammenkrachte und alle mitriss und sie von der schwarzen Strömung verschlungen wurden. Ob das wohl wehtäte? Oder würde das Wasser sie betäuben, sodass sie es nicht mal mitbekäme, wenn das Wasser in ihre Lungen drang ...
»Biste so weit, Süße? Damit du alles von denen kriegst, was du so brauchst?« Bumps goldumrandete Augen sahen sie unter der breiten Krempe des zerlumpten lilafarbenen Hutes an, dessen goldene Schnalle im Feuerschein glänzte. Nichts erinnerte jetzt noch an den Bump im albernen Pyjama von gestern Nacht. Das hier war der Bump von der Straße, der die Macht so beiläufig schulterte wie den schmutzig weißen Pelzmantel, den er heute trug. Unter dem Mantel lugten wenigstens drei verschiedene Hemden hervor, die an diversen Stellen aufgeschlitzt waren, sodass der darunterliegende Stoff hervorschimmerte. Die flaschengrünen Samthosen, die in den schweren Pelzstiefeln steckten, sahen zur Abwechslung mal sauber aus.
Er hatte sich die Fingernägel schwarz lackiert. Seine mit Diamanten und Edelsteinen besetzten Ringe klirrten bei jeder Handbewegung. Der Gehstock mit der goldenen Spitze klickte und klopfte beim Gehen auf dem löchrigen Zement und fügte dem Gesamteindruck eine weitere Dissonanz hinzu.
»Was?«
»Kriegste, was du brauchst, um mir ’n paar Zauber zu basteln, oder was? Ist doch einfach bei Lex, du fährst ihm einfach mal mit deinen hübschen Fingern durchs Haar und fertig ist die Laube. Wenn du noch ’n bisschen lächelst, macht er sich vielleicht Hoffnungen. Slobag, den lässte mal Bump seine Sorge sein. Bump hat da nämlich schon ’n Plan.«
»Aber ich dachte ...« Sie warf Terrible einen Blick zu, aber der verzog keine Miene. Seine Augen verbargen sich hinter einer Sonnenbrille, in deren Gläsern sich die Flammen spiegelten. Leere Augenhöhlen, Feuer anstelle der Augen. Sie schauderte, und nicht nur wegen des Anblicks. Seit der Begrüßung hatte er kein Wort gesagt. »Ich dachte, du hättest es dir noch mal anders überlegt, weil du gar nicht mehr davon gesprochen hast, und da hab ich geglaubt, du holst dir selber, was du brauchst.«
»Wann hat Bump denn das bitte gesagt? Kann ich mich verdammt noch mal nicht dran erinnern. Haste da vielleicht noch was abgespeichert, was Bump nicht mehr weiß, Süße? Haben dir die Pillen den Verstand vernebelt, oder was? Davon war nie die Rede.«
Sie biss sich auf die Zunge und holte tief Luft, bevor sie antwortete. Arschloch. »Sie werden merken, was ich da tue. Sie werden merken, was ich bin.«
»Tu’s einfach, klar? Hol dir, was du brauchst. So als kleine Versicherung. Damit Bump für den Notfall gerüstet ist.«
Wahrscheinlich war es sowieso egal. Er würde wegen aller möglichen Zaubersprüche zu ihr kommen, und sie würde ihn ohnehin bescheißen und sie absichtlich unwirksam machen. Also nickte sie einfach. »In Ordnung.«
»Na prima. Wirklich prima. Wird auch nicht lange dauern heute Nacht. Schweinekalt hier. Bump hasst Kälte.«
Ein weiteres Nicken. Noch ein Blick zu Terrible. Sie hatte auf die Gelegenheit gehofft, mit ihm unter vier Augen zu reden, aber Bump umkreiste sie wie ein Geier, der darauf wartet, dass seine Beute endlich verreckt. Und irgendwie hatte sie das Gefühl, dass Terrible nicht so begeistert wäre, wenn Bump ihre Unterhaltung mithörte.
Außerdem hatte sie ja sowieso keinen Plan, was sie sagen sollte.
Nicht zum ersten Mal wünschte sie sich verzweifelt, sie hätte ihn damals gar nicht erst geküsst. Wenn sie mit der ganzen Sache nicht angefangen hätte, hätte er nicht Schluss gemacht, und dann würde sie jetzt nicht in diesem elenden Schlamassel stecken. Sie hätte die erotischen Untertöne und die besonderen Momente in ihrer Freundschaft einfach brav ignorieren können.
Warum war sie bloß so fest entschlossen, bei jeder sich bietenden Gelegenheit genau das Falsche zu tun?
Sie seufzte und kuschelte sich tiefer in ihren Mantel, bevor sie es sich anders überlegte und nach dem
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