Seelenzorn
sämtliche Schlafzimmer und Bäder folgte, aber es kam zu selten und zu schwach, um ihr irgendetwas zu verraten. Sie prägte sich die Anordnung der Räume genau ein. Wenn die Pyles nachts wach blieben, würde es so gut wie unmöglich sein, sich nach Einbruch der Dunkelheit hineinzuschleichen und sie mithilfe der magischen Hand in Tiefschlaf zu versenken, um in Ruhe Untersuchungen anzustellen. Bei all den Sicherheitsvorkehrungen wäre es natürlich sowieso schwierig, nachts einzudringen, egal, ob die Pyles wach waren oder nicht. Die Wachleute würden jedenfalls nicht schlafen, das stand mal fest. Vielleicht würde Merritt ...?
Nein. Selbst wenn sie ihn darum bitten könnte, dürfte sie es nicht tun. Es wäre dumm, ihm zu vertrauen. Ein knappes gemeinsam verbrachtes Jahr bedeutete noch lange nicht, dass sie Freunde waren.
»Roger«, unterbrach sie ihn, als er ihr gerade zeigte, wo er einmal einen jungen Mann aus einem Badezimmer hatte kommen sehen, »wissen Sie, wo der ursprüngliche Grundriss des Hauses verlief? Wo die Morde stattgefunden haben?«
»Es war schon abgerissen und das Fundament zugeschüttet, bevor wir das Land gekauft haben. Aber soweit wir wissen, verlief die Nordmauer parallel zu unserem Schlafzimmer. Den geschätzten Maßen zufolge, die wir vom Landvermesser bekommen haben, war das alte Haus genau hinter diesem Zimmer zu Ende.« Er deutete auf die Tür. »In dem Teil haben wir keine Geister gesehen. Oder jedenfalls noch nicht.«
»Haben Sie dort schon mal geschlafen?«
Die Pyles wechselten untereinander einen raschen Blick - auch Arden, die während der ganzen Führung kein Wort gesagt hatte.
»Jedenfalls nicht nachts«, sagte Kym. »In keinem der Zimmer.«
»Arden hält sich da manchmal mit einer Freundin auf«, fügte Roger hinzu. »Und Kym und ich nutzen das Wohnzimmer.«
Chess nickte. Sie könnte sie wahrscheinlich mit einem Schutzzauber vom Obergeschoss fernhalten und sich derweil dort umsehen, aber das würde die Sache komplizierter machen. Sofern sie überhaupt ungesehen ins Haus gelangte.
Sie gingen über den Flur zur Elternsuite, dem letzten Zimmer auf der rechten Seite. Auf verschwenderische Eleganz war Chess eingestellt gewesen. Allerdings hatte sie nicht mit einem schlachtschiffgroßen Bett gerechnet, auf dem eine meterdicke Matratze mit seidenen Laken lag, und erst recht nicht mit dem gigantischen Gemälde an der Decke, das eine nackte Kym zeigte. Hatte Arden mit ihrer bloßstellenden Bemerkung etwa darauf angespielt?
Spaß hatte sie ohne jeden Zweifel. Sie lag seitlich auf einem Fell - wie originell während sie sittsam mit der einen Hand den größten Teil der blonden Locken zwischen ihren Beinen bedeckte und die andere hinter den Kopf gelegt hatte. Ein schönes Gemälde, das musste Chess zugeben, aber trotzdem ... kein Wunder, dass Arden so grantig war, wenn sie die eigene heranreifende Figur mit dem schönsten Körper vergleichen musste, den man für Geld kaufen konnte.
Wenigstens ein Problem, mit dem Chess sich nicht hatte herumschlagen müssen. Andererseits wäre es in ihrem Fall schon eine Erleichterung gewesen, wenn sie bloß hätte grübeln müssen, wie sie wohl im Vergleich mit den nackten Frauen um sie herum abschnitt, anstatt sich davor zu ängstigen, was die mit ihr vorhatten oder wozu sie sie diesmal zwingen würden, aber ...
»In der Nacht, als sie hier drinnen angegriffen wurden«, fragte sie, »was ist da genau passiert?«
»Es war dunkel.« Roger sah aus, als käme er langsam wieder runter; seine Augen waren nicht mehr ganz so glasig. »Ich kann mich nicht mehr ans Einschlafen oder Aufwachen erinnern. Nur daran, wie ... wie ich es gehört habe. Im Zimmer hat sich etwas bewegt, Kymmi hat geschrien, und irgendwie konnte ich meine Hände nicht mehr spüren ... und es hat gelacht und gekreischt.« Er blinzelte ein paar Tränen weg. Chess rief sich in Erinnerung, dass der Mann ein professioneller Schauspieler war. »Es war furchtbar.«
Kym selbst blieb stumm. Chess machte sich eine geistige Notiz, einen Blick in ihre privaten Vermögensverhältnisse zu werfen. Die Akte enthielt zwar Auszüge von verschiedenen Konten, aber sie wurden alle gemeinsam geführt. Falls Kym nach einem eleganten Weg suchte, diese Ehe zu beenden und dabei so viel Geld wie möglich rauszuschlagen, dann wäre eine vorgetäuschte Geistererscheinung vielleicht effektiv, wenn auch umständlich und riskant.
Es war außerdem auch eine sehr öffentlichkeitswirksame Methode, die das Ende von
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