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Seelenzorn

Seelenzorn

Titel: Seelenzorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stacia Kane
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nicht.
    Ihr Magen machte einen Satz. Sie hatte keine Ahnung, ob wegen des Gestanks, wegen des Entzugs oder wegen der Geister. Sie hatte einen Druck im Kopf, als wäre das Gehirn plötzlich zu groß für den Schädel geworden und würde ihn jeden Augenblick zum Platzen bringen.
    Die Geister setzten sich in Bewegung. Der Mann hob die Axt und riss sie über die Schulter zurück. Er drehte den Kopf. Sah zum Schreibtisch herüber.
    Und zu Chess.
    Die Kante der Hausbar bohrte sich schmerzhaft in die Rückseite ihrer Schenkel, aber sie beachtete es kaum. Sie traute sich nicht, ihn aus den Augen zu lassen, während sie ihre Handtasche durchwühlte. Endlich fand sie die Friedhofserde und ballte die Faust darum. Es könnte funktionieren. Es würde funktionieren, wenn sie die nötige Kraft aufbrachte, wenn ihr noch ein bisschen Kraft geblieben war. Sie fühlte sich wie ein kurzgeschlossenes Kabel: Unter ihrer Haut sprühten zwar Funken, aber es kam kein Strom zustande.
    Der Mann hob die Hand und präsentierte den abgetrennten Kopf. Zeigte ihn ihr. Er hatte sie gesehen. Nicht wie neulich nachts im Badezimmer. Er hatte sie gesehen. Er wusste, dass sie da war. Seine Axt konnte ihr zwar nichts anhaben, aber auf dem Schreibtisch lag ein Brieföffner, dessen scharfe Schneide in dem schrecklichen grünen Licht schimmerte, das die Geister verströmten. Wenn er ihn entdeckte, dann würde er -
    Sie sah es vor ihrem geistigen Auge wie einen lebensechten Horrorfilm: Er nahm den Brieföffner, glitt mit seinem durchsichtigen Körper durch den Schreibtisch, als wäre der gar nicht vorhanden, hob den Arm, um zuzustechen, während sie selbst vergeblich abwehrend die Arme hochriss. Der Brieföffner bohrte sich in ihre Brust, das Blut spritzte heraus und wechselte die Farbe, als es den durchscheinenden Körper passierte.
    Das war das Bild, das ihr aus der Erstarrung half. Der Mann setzte sich in Bewegung, kam auf sie zu; die Frau folgte ihm wie ein gehorsamer Hund. Chess musste etwas tun, und zwar schleunigst. Am besten jetzt.
    Die Erde schnellte aus ihrer Hand und hüllte die beiden Gestalten ein.
    »Arcranda beliani dishager!«
    Die Standard-Bannformel fühlte sich wie eine Reihe bedeutungsloser Silben an, als sie sie aus dem zugeschnürten Hals presste: machtlos, nichts dahinter. Der Geist blieb unbeeindruckt. Er machte einen weiteren langsamen Schritt auf sie zu.
    Sie versuchte es noch einmal, kämpfte um Konzentration und suchte nach der Kraftquelle tief in ihrem Inneren. Sie wusste doch, wie das ging, sie beherrschte ihr Metier, sie hatte es schon hundertmal gemacht, das war ihr gottverdammter Job ...
    »Arcranda beliani dishager!«
    Wieder nichts. Sie fühlte sich nicht so schwach - ihrem Eindruck nach hätte es eigentlich funktionieren müssen, aber wie viel konnte sie darauf noch geben? Sie fühlte so gut wie nichts mehr außer ihrem Magen, der sich zusammenkrampfte.
    Also blieb ihr keine andere Wahl. Sie rannte los. Der Boden kam ihr wacklig und uneben vor. Ihre Hände rutschten am Türknauf ab; sie warf einen Blick zurück und sah, wie der Geist den Kopf drehte und sie beobachtete. Aus diesem Blickwinkel erkannte sie ganz deutlich den Kopf, den er in der Hand hielt: Es war das Gesicht, das sie im Badezimmerspiegel gesehen hatte.
    Ein Schrei stieg in ihrer Kehle empor. Sie biss die Zähne zusammen, um ihn zurückzuhalten. Der Türknauf drehte sich.
    Sie stürmte los und stürzte sofort. Die Geister waren noch im Büro und setzten sich erneut in Bewegung, als hätten sie es auf sie abgesehen ...
    Aus dem Wohnzimmer war Kyms Stimme zu hören. Chess kam auf die Beine und warf einen letzten Blick auf die Geister, bevor sie die Tür hinter sich zuwarf. Sie fühlte sich kraftlos wie ein ausgewrungener Waschlappen.
    Die Tür würde die Geister nicht aufhalten. Sie musste hier weg. Musste so schnell wie möglich die Treppen rauf ins Gästezimmer, das man ihr zugeteilt hatte, und die Tür hinter sich abschließen, damit sie unbeobachtet zusammenbrechen konnte. Scheiß auf die Pyles, sollten sie doch selber sehen, wie sie klarkamen, immerhin hatte es im Wohnzimmer ja bisher noch keine Probleme gegeben, oder?
    Aber sie kamen nicht durch die Tür. Warum kamen sie nicht durch die Tür? Da stimmte etwas nicht, ganz und gar nicht.
    In der Ecke versteckt, wartete Chess und starrte die Tür an, bis sie nur noch den schwarzen Umriss vor der hellen Wand wahrnahm, bis ihr die Augen brannten und die Tür sich unnatürlich zu vergrößern schien. Eine

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