Seelenzorn
Tages zufällig übern Weg gelaufen bin — hat meine Anrufe nicht mehr beantwortet, nachdem sie’s erfahren hatte. Hat mir nichts sagen wollen. Wollte nicht, dass ich mich da einmische. Hat sie natürlich auch recht. In meinem Leben ist nicht gerade Platz für ’n Kind. Hab ja nicht mal ’n Familiennamen zum Weitergeben.«
Chess antwortete nicht, weil sie Angst hatte, dass er aufhören würde zu reden, wenn sie etwas sagte.
»Am Ende haben wir uns dann auf ’n Deal geeinigt. Sie war da schon mit Bill zusammen, schon die ganze Zeit, hat aber gewusst, dass das Kind nicht von ihm ist. Bill wollte sie heiraten. Ich schieß jeden Monat ’n bisschen Kohle zu und seh Katie, sooft ich kann. Ist ’ne ganz gute Abmachung. So krieg ich sie wenigstens mal zu sehen. Verlier sie nicht aus den Augen, weißte?«
»Und sie weiß nichts davon?«
Er schüttelte den Kopf und nahm einen tiefen Zug aus der halb leeren Bierflasche. »So isses am besten, echt. Keiner weiß Bescheid außer Bump. Keiner.«
»Danke.«
Er sah zu ihr herüber und nickte.
»Sie ist wirklich hübsch, Terrible. Und schlau.«
»Ja, ne? Die geht später mal aufs College und so. Das hat sie nicht von mir. Aber die Größe, die schon.«
»Sie hat deine Augen. Und dein Lächeln.«
Er zündete sich eine Zigarette an, und dabei sah sie, dass er errötete, aber er erwiderte nichts darauf.
Chess beugte sich vor, damit er ihr ebenfalls Feuer geben konnte. »Hast du schon mal überlegt, noch ein Kind zu haben?«
»Nee. Hab mich sterilisieren lassen, weißte? Gleich nachdem ich's erfahren hatte. Wenn von mir eine ’n Kind will, dann doch bloß wegen dem Geld. Mit Felice hab ich echt Glück gehabt. Aber das Risiko geh ich nich noch mal ein.«
»Ich auch nicht«, sagte sie, stieß eine Rauchwolke aus und sah zu, wie sie sich im Schnee verlor.
»Was?«
»Ich bin nicht... ich kann keine Kinder bekommen.«
»Dachte, wer bei der Kirche arbeitet, darf das sowieso nicht.«
»Na ja, nicht ganz. Die Debunkerinnen und Verbindungsfrauen dürfen nicht, und alle, die direkt mit Geistern arbeiten oder die gefährlicheren Jobs machen. Die Goodys dürfen aber sehr wohl, und auch ein paar von den Handwerkerinnen. In diesem Bereich sind schwangere Frauen gern gesehen; die kriegen sogar einen Bonus und so, wegen der zusätzlichen Macht, die sie in Talismane und Ingredienzien fließen lassen.«
Sie holte tief Luft. Es fühlte sich komisch an, ihm all das zu erzählen - oder es überhaupt jemandem zu erzählen -, aber sie war ihm was schuldig. Sie kannte jetzt ein Geheimnis von ihm, und das war so groß, dass es eins von ihr herausdrängte, um sich Platz zu verschaffen.
»Also, klar hätten sie mir eine Sterilisation bezahlt, als sie mich eingestellt haben, aber das war gar nicht nötig. Ich hatte ... ähm, mit vierzehn war ich mal schwanger. Von einem meiner Ziehbrüder, ich weiß gar nicht mehr, von welchem. Er ... na ja, das war an und für sich keine Überraschung, sie haben's alle gemacht, aber er hat mich halt geschwängert, also haben sie mich zu diesem Arzt geschleppt. Und der hat sich vertan, hat mir was durchgeschnitten oder so, und ich wäre fast gestorben. Und jetzt... bin ich zu vernarbt oder so ähnlich. Zu kaputt.«
»Scheiße, Chess.« Er ließ sich gegen die Mauer sinken und verschränkte die Arme.
Plötzlich verließ sie eine innere Anspannung, von der sie gar nichts geahnt hatte. Ein anderer hätte wegen dieser Geschichte ein Riesentheater gemacht und sie gedrängt, darüber zu reden, damit sie das alles in ihrem Inneren noch mal wachrief und es erneut durchlebte - in der irrigen Annahme, dass sie es irgendwie besser verarbeitete, wenn sie sich der Erinnerung stellte. Oder er hätte sie mit Mitleid überschüttet, bis sie in Tränen ausgebrochen wäre, nur um weiteren Fragen zu entgehen. Oder hätte sie aus großen Kuhaugen angestarrt, so als bestünde sie nur noch aus diesem Erlebnis, als wäre sie gar kein richtiger Mensch mehr, sondern nur noch eine Ansammlung schlimmer Erinnerungen.
Aber Terrible tat nichts dergleichen, sondern stand nur neben ihr und rauchte stumm. Er nahm hin, was geschehen war, und nahm es hin, dass sie ihm davon erzählte. Er trank sein Bier aus und machte ihnen beiden ein neues auf, um damit die Schlucke aus der Bourbonflasche runterzuspülen.
Als er ihr das Bier reichte, verschob sich der Kragen seines Bowlingshirts ein bisschen, sodass das Neonlicht von der Reklame auf der anderen Straßenseite die winzige Schrift
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