Seepest
dorthin hatte er nur zwei, drei Minuten zu
gehen, und genauso schnell wäre er anschließend wieder zurück. Mit dem
Dienstwagen ließ sich dann immer noch rechtzeitig das am Stadtrand liegende Kreiskrankenhaus
erreichen, in dem Franzi ihre gerichtsmedizinischen Untersuchungen durchführte.
Er informierte kurz den Kollegen von der Bereitschaft,
bevor er in seinen Mantel schlüpfte und sich auf den Weg machte.
Natürlich
hatte die Esserei etwas länger gedauert als geplant. So kam es, dass er erst um
kurz vor zwei seinen Wagen vor dem Hauptgebäude des Krankenhauses abstellte.
Wenigstens war die Fischsuppe exzellent gewesen, das war ihm die kleine
Verspätung wert; beim Gedanken daran leckte er sich noch jetzt die Lippen!
Beschwingt eilte er die Treppen ins Untergeschoss
hinab, durchmaß im Stechschritt den dämmrigen Vorraum und wollte eben die Tür
zu den Pathologieräumen aufstoßen, als er ein verhaltenes Schluchzen vernahm.
Überrascht sah er sich um. Auf einer Bank saß eine zusammengekrümmte Gestalt.
Eine Frau mittleren Alters mit hochgesteckten Haaren, in einen dunkelgrauen
Tuchmantel mit Pelzkragen gekleidet, das Gesicht von einem zusammengeknüllten
weißen Taschentuch verdeckt.
»Verzeihung, sind Sie Frau Mattheis, Hilde Mattheis?«,
sprach er sie an. Er hatte Erich Rottmanns Hausdame in die Pathologie bestellt,
da sie nach seiner Kenntnis momentan die Einzige war, die den alten Rottmann
zweifelsfrei identifizieren konnte – falls es sich überhaupt um diesen
handelte. Franzi hatte bereitwillig zugestimmt, mit den gerichtsmedizinischen
Untersuchungen erst nach der Identifizierung zu beginnen, da sie sich erst
einmal mit dem toten Stratton beschäftigen wollte. Dennoch war er überrascht,
dass die Frau um mehr als eine halbe Stunde zu früh erschienen war. Nun,
vermutlich hatte sie die Ungewissheit zu Hause nicht länger ertragen.
Mit tränenumflorten Augen sah die Frau zu ihm auf und
nickte.
»Ich bin Hauptkommissar Wolf von der Kripo, wir haben
miteinander telefoniert. Kommen Sie, ich bringe Sie rein.«
Franzi Reichmann kam ihnen entgegen. »Frau Mattheis,
nehme ich an. Guten Tag.« Sie reichten sich die Hand.
»Sie wissen, warum wir Sie hergebeten haben, Frau
Mattheis?«, fragte Wolf in beruhigendem Tonfall. »Wir hätten gerne darauf
verzichtet, aber leider scheinen Sie derzeit die Einzige zu sein, die Herrn
Rottmann identifizieren kann. Sie wissen sicher, dass sich Frau Gauß-Rottmann
und ihr Sohn momentan im Ausland aufhalten. Was denken Sie, Frau Mattheis, wird
es gehen?«
Sie schien zunächst unschlüssig, schluchzte mehrfach
hörbar auf, bevor sie die Zähne zusammenbiss. »Ja, es muss wohl«, kam es
flüsternd zurück, begleitet von einem angedeuteten Nicken.
»Dann kommen Sie.« Franzi Reichmann führte sie zu
einem der Edelstahltische, auf dem sich unter grünem Tuch ein menschlicher
Körper abzeichnete. »Herr Rottmann trägt noch die Kleidung, in der man ihn
gefunden hat«, erläuterte sie. »Bitte sehen Sie sich alles in Ruhe an.
Insbesondere bitten wir Sie, neben Kleidung und Schmuck vor allem auf besondere
körperliche Merkmale zu achten, soweit sie Ihnen bekannt sind, also Narben,
Warzen, Hautflecken, Tätowierungen, eventuelle Verletzungen und so weiter.« Sie
machte Anstalten, das Tuch zurückzuschlagen, als sie noch einmal innehielt.
»Ja, fast hätte ich’s vergessen … es tut mir leid, aber Sie können sein Gesicht
nicht sehen. Die Verletzungen, die ihm der Zug im Kopfbereich zugefügt hat,
sind … sie sind erheblich, das möchten wir Ihnen gerne ersparen.«
Franzi rollte das grüne Tuch langsam von unten her
auf. Ein Paar edle, wenn auch stark verstaubte schwarze Lederhalbschuhe kamen
zum Vorschein – zweifellos englische Maßarbeit, wie Wolf neidisch feststellte –, gefolgt von einer anthrazitfarbenen Hose, die im Unterschied zu den Schuhen
einen außerordentlich derangierten Eindruck machte und im Bereich des rechten
Knies sogar ein Loch aufwies. Sie wurde von einem schwarzen Gürtel aus
Krokodilleder mit silberfarbener Schnalle gehalten, in dem Wolf das Emblem von
Biotecc zu erkennen glaubte. Den Abschluss bildete ein schwarzes Sakko mit
einem weißen Hemd darunter, das zur Hälfte aus der Hose hing – ob durch den
Unfall oder den Transport in die Pathologie verursacht, war nicht zu erkennen.
Am rechten Handgelenk trug der Tote einen silbernen Zeitmesser der
Schaffhausener Uhrenschmiede IWC , am Ringfinger
einen Siegelring mit eingraviertem Wappen. Im Revers des
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