Seepest
fortgesetzt. Zwei Stunden nach Erreichen der Küstenregion hatte sie
die Nachricht erreicht, Alex Rottmann habe das Camp mit einem Hubschrauber in
östlicher Richtung verlassen. Sie wussten, sein Ziel konnte nur La Coruña
heißen, und beschlossen, ihren Aufenthalt in Muxía umgehend abzubrechen und
ebenfalls in die Provinzhauptstadt zurückzukehren.
Der Kontrast zwischen Küste und Provinzhauptstadt
konnte kaum größer sein: Dort das nach Öl stinkende Muxía, die mit
klebrig-schwarzer Masse überzogenen Küstenregionen mit ihren nun von Helfern
statt von Urlaubern bevölkerten Badebuchten, die verendeten Seevögel und Fische – und hier die quirlige Großstadt, mit ihrem urbanen Leben in frischer Seeluft,
Straßen und Märkten voller schlendernder Touristen und geschäftiger Coruños.
Überall herrschte heitere Gelassenheit.
Unterwegs hatten sie sich einige Zeitungen besorgt,
aus denen Pablo, der das Steuer inzwischen José überlassen hatte, vorlas und
die Artikel erregt kommentierte.
»Ich kann es nicht glauben«, schimpfte er gerade.
»Hört mal, was der Korrespondent von ›El País‹ dazu schreibt: Während jetzt schon 165 Strände verseucht sind und ein Ölsee,
vergleichbar mit der Fläche der Insel Mallorca, auf die Küste zuschwappt, der
bereits Tausende Fischer und Muschelzüchter brotlos gemacht hat, nimmt Mariano
Rajoy, stellvertretender Ministerpräsident und Regierungssprecher, das
spanische Fernsehen an die Kandare. ›Unsere Regierung zwingt uns, die
Katastrophe kleinzureden‹, so ein Sprecher von TVE .« Pablo schnaubte wütend. »Und jetzt
kommt’s: Unabhängig von der staatlichen
Desinformationspolitik gab die Polizei von La Coruña eine Meldung heraus, der
zufolge drei Männer im Zusammenhang mit der Explosion auf dem inzwischen
gesunkenen Supertanker ›Prestige‹ festgenommen wurden. Bei den Verhafteten
sollen insgesamt 320.000,– Euro in großen Scheinen sichergestellt worden sein.
Nach mehreren Verhören gaben sie zu, mit einer Sprengladung den Untergang der
›Prestige‹ herbeigeführt und auf diese Weise die gigantische Ölpest ausgelöst
zu haben. «
Ernüchtert ließ Pablo die Zeitung sinken. Sekundenlang
waren nur die Fahrgeräusche zu hören.
Ganz plötzlich wurde auch Karin von grenzenloser
Müdigkeit übermannt. Haltlos ließ sie den Kopf nach hinten sinken und schloss
für einen kurzen Moment die Augen. Nicht anders dürfte Don Quichotte empfunden
haben, dachte sie, als er vergebens gegen Windmühlen kämpfte.
»Was wirst du jetzt tun?«, platzte Elena in ihre
Gedanken. Auch Pablo hob den Kopf und sah sie an, als warte er gespannt auf
Karins Antwort.
»Na was wohl? Ich werde mir Alex Rottmann vorknöpfen.
Er hat mir ein Interview versprochen – und ich will es haben. Jetzt erst recht!
Bin gespannt, wie er sich da herauslavieren will.« Sie bemühte sich,
kämpferische Zuversicht auszustrahlen. »Wo finde ich eigentlich dieses ›Hotel
Finisterre‹?«
Pablo sah aus dem Fenster, um sich zu orientieren. »Es
liegt ganz in der Nähe. Wir bringen dich hin.«
Karin nickte stumm. Wenig später hielten sie vor einem
eintönig wirkenden sechsstöckigen Betonkasten, der einzig durch seine etwas
erhöhte Lage über der Stadt beeindruckte.
Karin reagierte enttäuscht. »Das soll das hochgelobte
Sternehotel sein?«, zweifelte sie.
»Wart’s ab. Innen herrscht der pure Luxus, du wirst
schon sehen«, meinte José mürrisch. Es waren die ersten Worte, die Karin seit
ihrer Abfahrt in Muxía von ihm hörte; bis dahin hatte er nur finster vor sich
hingebrütet.
Sie sah auf die Uhr. »Oh, so spät schon? Ich fürchte,
das Interview muss noch etwas warten, es wird Zeit, dass ich ein paar Bilder
nach Deutschland maile. Habt ihr eine Idee, wo sich das bewerkstelligen lässt?«
»Unser Hotel liegt ganz in der Nähe, komm einfach
mit«, antwortete Elena.
»Ich lass euch jetzt mal allein, wir sehen uns
später«, meinte José und verließ eilig den Landrover.
»Um acht im ›Don Miguel‹«, rief ihm Pablo hinterher,
bevor er sich hinter das Steuer setzte.
Na wartet, meine lieben Freunde, dachte Karin bei
sich. Spätestens dann werdet ihr die Katze aus dem Sack lassen müssen. Sie war
sicher, dass die drei mehr über die Hintergründe des Tankerunglücks wussten,
als sie bisher rausgelassen hatten.
***
Kurz
nach fünf Uhr traf Alex vor dem »Finisterre« ein. Großzügig entlohnte er den
Taxifahrer, der ihn von dem am Stadtrand liegenden Hubschrauberlandeplatz
hergefahren hatte.
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