Seepest
Eine ausführliche Darstellung aller
Vorgänge hören Sie in den SWR -Nachrichten um halb
neun. Und nun setzen wir unsere Sendung ›Musik am Morgen‹ fort …«
»Wie schön«, brummte Wolf ungehalten und drehte den
Kasten ab. Wenn die Dinge tatsächlich so lagen, musste er bald wieder auf den
See hinaus. Er wollte dabei sein, wenn das Boot gehoben wurde. Eigenartig, dass
ihn die Kollegen noch nicht angerufen hatten.
Der Gedanke war noch nicht zu Ende gedacht, als sein
Telefon schellte. Doch nicht die Wapo war dran, sondern seine Mitarbeiterin Jo
Louredo. Vorsichtig fragte sie an, wann mit ihm zu rechnen sei, sie würden
förmlich in Arbeit ersticken. Ach ja, und ob er schon von den Vorkommnissen auf
dem See gehört habe?
»Ich werde gegen neun da sein«, erwiderte er kurz
angebunden, ohne auf den zweiten Teil ihrer Frage einzugehen.
Er wollte schon auflegen, als Jo noch etwas nachschob.
»Nur damit Sie nachher nicht erschrecken, Chef: Unser
neuer Kollege ist da.«
»Kollege?«
»Dieser Praktikant. Wissen Sie nicht mehr?«
Er erinnerte sich dunkel an einen Anruf des
Personalamtes. Dort hatte die Polizei-Fachhochschule in Villingen-Schwenningen
wegen eines Praktikantenplatzes angefragt. Der Bewerber hatte den
ausdrücklichen Wunsch geäußert, nach Überlingen, wenn möglich in das erste
Dezernat, zu kommen. Ein Kommissaranwärter, männlich, zweiundzwanzig Jahre alt.
Mehr hatte Wolf leider nicht erfahren. Ist ja nur für drei Monate, hatte er
sich eingeredet, zugestimmt und das Telefonat gleich darauf wieder vergessen.
»Ausgerechnet jetzt«, seufzte er ergeben und legte
auf. Zu spät fiel ihm ein, dass er noch nicht mal den Namen des jungen Mannes
kannte.
Es
war kurz vor neun, als Wolf hinter der Polizeidirektion von seinem Fahrrad
stieg. Er war grantig, und man sah es ihm an. Wäre dieser Morgen ein Fisch
gewesen, er hätte ihn ohne Umschweife wieder ins Wasser zurückgeworfen. Nicht
etwa, weil er sich wegen der frostigen Temperaturen klamme Finger und eine rote
Nase geholt hatte. Nein, was ihn ärgerte, war etwas anderes: Sein rechtes
Hosenbein war gleich hinter Nußdorf, seinem Wohnort, in die Kette geraten. Nur
mit Mühe hatte er einen Sturz verhindern können. Nun musste das gute Stück in
die Reinigung – falls es überhaupt noch zu gebrauchen war.
Verhalten fluchend legte er seinen Drahtesel an die
Kette und machte sich auf den Weg in den zweiten Stock, in dem sich die Räume
des D1 befanden. Ohne groß nachzudenken, nahm er die Treppe. So alt, dass er
für läppische zwei Etagen den Aufzug brauchte, war er schließlich noch lange
nicht! Und sollte er die Treppe mal nicht mehr packen … tja, dann müsste er
wohl doch auf seine geliebten Gitanes verzichten. Ein grauenhafter Gedanke, dem
er nicht lange nachhängen wollte.
Stattdessen versuchte er, sich auf die Vorgänge der
vergangenen Nacht zu konzentrieren. Wieder und wieder kam ihm die Radiomeldung
in den Sinn. Wenn stimmte, was der SWR -Moderator
verzapft hatte, dann war es gelungen, die drohenden ökologischen Folgen der Bootsexplosion
gerade noch mal abzuwenden. Dank Biotecc. Blieb die Frage nach der Ursache des
Desasters. Und nach der Schuld. Da würde noch ein hartes Stück Arbeit auf sie
zukommen. Immerhin war die Hoffnung nicht ganz unbegründet, dass sich bei
Hebung des Bootes alles aufklären würde. Wenn nicht …
Auf dem ersten Treppenabsatz stockte sein Fuß. Hatte
er nicht in der Kantine ein paar Wurstsemmeln mitnehmen wollen? Wieder einmal
war sein Kühlschrank zu Hause gähnend leer gewesen, sodass das Frühstück
mangels Masse hatte ausfallen müssen. Eine Tasse Kaffee, dazu eine Gitanes, das
war alles, was sein Haushalt an diesem Morgen hergegeben hatte. Nicht
sonderlich bekömmlich und schon gar nicht auf Dauer. Womöglich hing das
Kribbeln in seinem Magen damit zusammen?
Es half alles nichts, er musste noch einmal umkehren.
Wenig später nahm er die Treppe erneut in Angriff,
diesmal mit einer prall gefüllten Tüte in der Hand, aus der es verlockend nach
warmem Leberkäs roch. Etwas außer Atem erreichte er den zweiten Stock.
Wie jeden Morgen würde er zunächst bei Jo
vorbeischauen, bevor er sich in sein Büro gleich nebenan verzog. Auf diese
Weise bekam sie nicht nur mit, dass er im Haus war – sie konnte ihn auch gleich
mit den neuesten Informationen versorgen, falls es schon welche gab. Als er
eintrat, sprach Jo gerade am Telefon und hob nur flüchtig die Hand.
Wolfs Blick fiel auf einen jungen Mann, der sich
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