Seepest
darf ich Ihnen
ganz kurz den Hauptkommissar entführen?«, flötete Schneidewind jetzt. Die Frage
war rein rhetorisch gemeint, denn ohne Franzis Antwort abzuwarten, fasste er
Wolf am Ärmel und zog ihn zur Seite.
Die Retourkutsche ließ nicht lange auf sich warten.
» Herr Dr. Schneidewind,
ich bin zwar mit dem Hauptkommissar noch nicht fertig, aber wenn’s denn
unbedingt sein muss!«, gab Franzi Reichmann lakonisch zurück. Dann fügte sie
mit verschlagenem Blick hinzu: »Falls es um die beiden Explosionsopfer gehen
sollte – die liegen hier hinter Ihnen. Werfen Sie ruhig einen Blick darauf.«
Mit einer schnellen Bewegung schlug sie die Laken zurück.
Ȁh, Sie irren sich, meine Liebe, deshalb bin ich
nicht hier –«
»Nun lassen Sie’s schon raus«, unterbrach ihn Wolf,
der die Hand, die ihn mitzog, endlich abschütteln konnte.
»Also gut«, lenkte Schneidewind mit gezwungenem
Lächeln ein; offenbar spürte er, dass er zu weit gegangen war. Verschwörerisch
beugte er sich näher zu Wolf, wodurch er diesen zwang, den Atem anzuhalten,
denn ganz im Gegensatz zu seinem gestylten Äußeren schien Schneidewind von
Mundhygiene nicht viel zu halten. »Wie ich höre, gibt es in unserem Fall
Indizien für die Beteiligung islamistischer Terroristen …«
Wolf fuhr überrascht zurück. »Woher haben Sie das?«,
fragte er.
»Wollen Sie das etwa in Abrede stellen?«, fragte
Schneidewind lauernd.
»Hören Sie …«
»Kriminalrat Sommer hat mich höchstpersönlich
informiert. Aber spielt das eine Rolle? Wichtig ist doch nur eines, nämlich
dass wir mit aller Härte –«
»Herr Dr. Schneidewind! Wenn Sommer Sie
informiert hat, wie Sie sagen, dann wissen Sie auch, dass wir außer einem
Flugblatt nichts in den Händen haben. Mit anderen Worten: Es ist eine Spur,
allenfalls ein vager Anfangsverdacht, den wir selbstverständlich mit der gebotenen
Dringlichkeit weiterverfolgen – mehr aber auch nicht.«
»Dringlichkeit … genau das ist es. Ich verlange … äh,
nein, ich bitte Sie, diese Spur mit höchster Dringlichkeit weiterzuverfolgen.
Wenn es sich um Terroristen handelt, werden sie es möglicherweise nicht bei
diesem ersten Anschlag bewenden lassen.«
»Selbstverständlich beziehen wir das in unsere
Ermittlungen mit ein. Allerdings gibt es noch eine Reihe weiterer Spuren, denen
wir nachgehen müssen.« Wolf ließ sich nicht näher darüber aus, um welche Spuren
es sich handelte.
»So? Na gut. Trotzdem, der Kampf gegen die
islamistische Bedrohung hat höchste Priorität, mein lieber Wolf, da können Sie
mit der Unterstützung aller Stellen bis hinauf zum Innenministerium rechnen.
Sie verstehen, was ich meine?«
»Nein.«
»Wie?« Schneidewind machte ein Gesicht, als hätte er
in eine Zitrone gebissen. »Äh … ich dachte, ich hätte mich klar ausgedrückt.«
»Wir wissen durchaus selbst, was die Lage erfordert,
Herr Staatsanwalt. Oder wollen Sie uns mangelnden Einsatz vorwerfen? Falls
nicht, schlage ich vor, Sie lassen uns unsere Arbeit machen und wir reden
weiter, sobald es neue Fakten gibt, einverstanden?«
Mit diesen Worten ließ er den verdutzten Schneidewind
stehen und strebte der Pendeltür am Ausgang zu, nicht ohne sich mit einem
Augenzwinkern von Franzi zu verabschieden.
5
Kurz nach Terry hatte sich auch Jo wieder in
der Polizeidirektion eingefunden, gut vierzig Minuten nach dem von Wolf
angesetzten Termin. Umso überraschter waren sie, dass der Chef nicht da war. So
blieb ihnen wenigstens Zeit, sich mit Kaffee zu versorgen.
»Willst du zum Islam konvertieren?«, fragte Jo
verblüfft, während sie ihren Rechner einschaltete und einen kurzen Blick auf
Terrys Lektüre warf. Unschwer hatte sie aus dem grünen Einband auf eine
Koran-Ausgabe geschlossen; die goldgeprägte, orientalisch anmutende Ornamentik
auf dem Titel hatte sie darin bestärkt.
Als könne er sich nur schwer von seiner Lektüre lösen,
hob Terry den Kopf. »Why not?«, erwiderte er mit
breitem Grinsen. »Immerhin weist der Islam im Unterschied zu den anderen
Weltreligionen der Frau die ihr gebührende Rolle zu, oder willst du das
bestreiten?«
Beinahe hätte sich Jo an ihrem Kaffee verschluckt.
»Aber sonst bist du gesund«, keilte sie zurück.
Im selben Augenblick wehte Wolf herein und mit ihm der
kalte Rauch einer Gitanes. Natürlich blieb ihm die Spannung zwischen den beiden
nicht verborgen, im Lauf der Jahre hatte er eine feine Nase für atmosphärische
Störungen unter seinen Mitarbeitern entwickelt. »Vertragt euch,
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