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Seepest

Seepest

Titel: Seepest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Megerle
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todsicher – im wahrsten Sinne des Wortes. In der Tat müssen die Männer
während ihrer letzten Stunden furchtbar gelitten haben. Zerebrale Krämpfe und
Beschwerden im Magen-Darm-Trakt wie Übelkeit, Erbrechen und Durchfälle wechseln
einander ab, später kommen Koliken und Blutungen hinzu, im Endstadium
schließlich Nieren- und Kreislaufversagen. Ein grausiger Tod, kann ich Ihnen
versichern. Ich hoffe, ein solcher Anblick bleibt Ihnen erspart.«
    Zu Wolfs Verwunderung waren die Frauen von seiner
drastischen Schilderung nicht annähernd so geschockt wie erwartet. Okay, dann
musste er eben schwerere Geschütze auffahren! Vielleicht würde die Geschichte
von Otto passen? Er gehörte zur Gruppe der mit Arsen vergifteten Penner, wies
aber gleichzeitig Merkmale einer Wasserleiche auf. Kein Wunder, man hatte ihn
tot aus dem Gondelhafen gefischt.
    Ja, da könnte was draus werden, dachte er, als die
Gräfin unvermittelt herausplatzte: »Also ich finde Ihre Arbeit wahnsinnig
aufregend, Herr Hauptkommissar!« Sie klimperte eifrig mit den Wimpern. »Was
mich aber ganz besonders interessiert: Wie stellen Sie eigentlich bei einem
Mordopfer den genauen Todeszeitpunkt fest? Ich denke, das dürfte bei der
Rekonstruktion eines Tatverlaufs von eminenter Bedeutung sein, ist es nicht
so?«
    »Gute Frage«, nickte Wolf anerkennend und nippte an
seinem Glas. So langsam fand er Gefallen an dem Spiel. Wie’s aussah, waren die
Damen auf Gruselgeschichten aus – also gut, dann sollten sie die auch bekommen.
Während er noch überlegte, womit er seine Zuhörerinnen am ehesten schockieren
konnte, lieferte ihm ausgerechnet Hermine Öchsle eine Steilvorlage.
    »Natürlich kennen wir die üblichen Methoden«, winkte
sie lässig ab, die Gräfin dabei mit einem kühlen Blick bedenkend,
»beispielsweise die Körpertemperatur, den Grad der Totenstarre oder die
Ausbildung von Totenflecken. Was aber ist, wenn der Todeszeitpunkt bereits
Wochen oder Monate zurückliegt?« Reihum sah sie ihre Genossinnen an. Na, hab
ich euch zu viel versprochen?, schien ihr Blick zu sagen.
    Sie konnte nicht ahnen, wie dankbar Wolf ihr war.
Sorgfältig legte er sich seine Antwort zurecht. »Nun, da Sie sich offenbar alle
recht gut auskennen, haben Sie sicher auch schon von der ›Bodyfarm‹ gehört,
meine Damen …«
    Elvira begann hinter vorgehaltener Hand zu kichern.
»Wer hätte das nicht, Herr Kommissar? Erst vor drei Wochen war ich mit Helga
und Marianne für zwei Wochen in Bad Dürrheim …«
    »Dummerchen … der Herr Hauptkommissar meint doch keine
Schönheitsfarm«, schalt sie Hermine Öchsle.
    Nur mit Mühe konnte Wolf ein Schmunzeln unterdrücken.
»In der Tat, die ›Bodyfarm‹ dient etwas anderen Zwecken. Dort werden nämlich
Verwesungsversuche durchgeführt. Ja, Sie haben richtig gehört, meine Damen,
Verwesungsversuche, und zwar an ausgelegten Leichen. Diese sogenannte Farm –
sie ist in gewisser Weise eine Untereinheit der anthropologischen Abteilung der
Universität Tennessee in den USA – wurde
angelegt, um Leichen in späten Fäulnisstadien bis hin zum Skelett schneller und
sicherer identifizieren zu können. Wie Sie bereits wissen, sind wir bei unseren
Ermittlungen auf möglichst genaue Daten angewiesen. Dazu gehören unter anderem
Alter, Geschlecht und Ethnie einer Person – und vor allen Dingen die Liegezeit.
Gerade die lässt sich ziemlich genau an den Fäulnisstadien einer Leiche
ablesen. Sie glauben ja gar nicht, was es für einen Kriminalisten auf dieser
Farm an Spannendem zu entdecken gibt …«
    »Mein Gott, das ist ja furchtbar«, flüsterte Helga und
schüttelte sich.
    »Ja, aber … das muss doch gottserbärmlich stinken«,
warf die eher praktisch veranlagte Hermine Öchsle ein.
    »Nun, eine empfindliche Nase dürfen Sie dort nicht
haben. Leichen riechen nun mal; je länger sie liegen, desto stärker. Stellen
Sie sich vor, es ist Sommer und es hat … sagen wir dreißig Grad
Außentemperatur. Da liegt ein Toter im Freien, die Sonne brennt unbarmherzig
auf den Körper – es wäre ein Wunder, wenn Sie diese Ausdünstungen nicht riechen
würden. Andererseits …«
    Abrupt stand Helga auf; polternd kippte ihr Stuhl nach
hinten. Mit schnellen Trippelschritten eilte sie hinaus, bereits unter der Tür
die Hand zum Mund führend. Auch dem Rest des Damenkränzchens schien nicht wohl
in seiner Haut, die Gesichter jedenfalls wirkten längst nicht mehr rosig.
    »Andererseits«, wiederholte Wolf ungerührt, »hört der
Geruch natürlich

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