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Seerache

Seerache

Titel: Seerache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Megerle
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»Wir sind hier schließlich nicht in Überlingen.«
    »Wir? Wer ist wir? Was wollen Sie überhaupt von mir?« Äußerlich ruhig nahm sie den Umschlag in die Hand und öffnete ihn. Sie hatte richtig vermutet: Es handelte sich um ihre Reiseunterlagen; die hatte sie nach dem Auschecken leichtsinnigerweise in das Außenfach ihrer Tasche gesteckt. Demnach war der Zusammenprall vor dem Haus kein Zufall gewesen. Wer spielte hier sein Spiel mit ihr? Sie würde es herauskriegen, das schwor sie sich.
    Wortlos steckte sie den Umschlag ein und verstaute das iPad in ihrer Tasche. Dann legte sie einen Fünfeuroschein auf den Tisch und machte Anstalten zu gehen.
    »Aber, aber, Frau Winter, geben Sie immer so schnell auf?« Der Mann schlug gemütlich die Beine übereinander und grinste sie an. »Ich dachte, Sie wären an › G.E.T.‹  interessiert? Sollte ich mich da etwa getäuscht haben?«
    Karin fiel wieder auf ihren Stuhl zurück. Forschend sah sie dem Mann in die Augen. »Wer sind Sie? Was wollen Sie?«
    »Spielt das eine Rolle?«, fragte er, wieder ernst geworden. »Das  Ziel  ist wichtig, nicht der Weg, Frau Winter.«
    Karin beschloss, zum Schein auf das Spiel einzugehen. »Okay. Was schlagen Sie vor?«
    »Nun, ich könnte Ihnen zum Beispiel Umwege ersparen … auf dem Weg zu › G.E.T.‹ , meine ich.«
    »Warum so kryptisch?«, fragte sie rundheraus. »Warum lassen Sie die Katze nicht aus dem Sack?«
    »Hier, wo uns alle Welt sieht, vielleicht sogar mithört?«, meinte er und sah sich um. »Lassen Sie uns ein paar Schritte gehen – oder eine Kleinigkeit essen, was halten Sie davon? Sie selbst müssen ja auch Hunger haben. Gleich um die Ecke gibt es einen guten Italiener, da können wir uns ungestört unterhalten.«
    »Ich soll mit Ihnen essen gehen?«, fragte sie spöttisch.
    »Sie sind natürlich eingeladen«, sagte er und stand auf.
    Sie zögerte noch. Andererseits … warum eigentlich nicht? Der Mann sah nicht aus wie ein Ganove, ganz im Gegenteil. Vielleicht kam sie über ihn an Informationen ran, immerhin schien er dieses obskure Unternehmen zu kennen.
    »Okay. Sie haben gewonnen«, meinte sie und nahm ihre Tasche.
    Wenig später hatten sie die Placa Major verlassen. Schweigend liefen sie eine belebte Straße entlang, als neben ihnen mit quietschenden Reifen ein Auto hielt. Ein Mann sprang heraus und riss die Hecktür auf; gleichzeitig fühlte sich Karin an den Armen gepackt und zu dem Wagen gezerrt. Ehe sie sich versah, hatte man sie in das Fahrzeug gestoßen, die Tür schlug zu, und der Wagen fuhr an – so rasch, dass die Fliehkraft sie in den Rücksitz presste.
    Jetzt endlich löste sich auch die Hand, die ihr den Mund zugehalten hatte, von ihrem Gesicht.

17
    Wolfs Rapport bei Sommer hatte ihn mehr Zeit gekostet als geplant. Wie so oft hatte es zwischendurch mehrmals den Anschein gehabt, als würden sie zu einem Ende kommen; stets aber war Sommer eine neue Frage eingefallen. Dann endlich – kurz bevor er sich mit einem Verweis auf das Balakow-Verhör hatte ausklinken wollen – hatte Sommer ihn freigegeben.
    Im Stechschritt war er in sein Büro geeilt, hatte seine Unterlagen an sich gerafft und sich auf den Weg zum Verhörraum gemacht, sein Magenknurren dabei geflissentlich überhörend. Von den Keksen bei Sommer, an denen er sich in weiser Voraussicht schadlos gehalten hatte, einmal abgesehen, lag seine letzte Mahlzeit schon Stunden zurück.
    So betrat er mit einiger Verspätung den Verhörraum im Untergeschoss, in dem sich Vespermann und Balakow schweigend gegenübersaßen.
    Wolf nickte dem Uniformierten neben der Tür freundlich zu und setzte sich gewohnheitsmäßig an die Stirnseite des Tisches. »’tschuldigung, bin leider aufgehalten worden«, murmelte er und wechselte einen Blick mit Vespermann. Dann versuchte er, sich ganz auf den Untersuchungsgefangenen zu konzentrieren, der ihnen mit stoischem Gesichtsausdruck gegenübersaß.
    Wolf mochte es kaum glauben: Noch am Vormittag waren sie mit Igors Partner bei Kalaschnikow zusammengetroffen. Nun war ihm, als säße er dessen Ebenbild gegenüber. Die Ähnlichkeit der beiden Geldeintreiber war mehr als verblüffend – man hätte sie glatt für Zwillinge halten können. Jetzt verstand er auch, warum sie in ihrer Branche als erfolgreich galten. Bevor ein Schuldner sich mit dem martialisch wirkenden Doppel einließ, zahlte er lieber freiwillig. Kein Wunder, dass selbst Borowski sich der Dienste von »Moskau-Inkasso« bediente.
    »Herr Balakow hat

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