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Seerache

Seerache

Titel: Seerache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Megerle
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legte er sich einen Plan zurecht, den er Karin mit wenigen Worten auseinandersetzte. Mit skeptischer Miene stimmte sie zu.
    Henning stürmte wieder hinaus – jeden Augenblick konnte der Besucher vor dem Haus eintreffen. Spätestens beim Anblick des fremden Wagens würde er gewarnt sein.
    Über die Holztreppe gelangte Henning ins Dachgeschoss, wo er sich nach kurzer Orientierung am Fußboden zu schaffen machte. Sein Plan war ebenso einfach wie effektiv – falls er funktionierte. Aus dem Fußboden, der im Grunde aus nichts weiter als gehobelten Brettern bestand, die man auf die Deckenbalken genagelt hatte, würde er zwei Bretter entfernen, direkt über dem Eingang in den Wohnraum. Sobald Alvarez, durch die weggesprengte Kette alarmiert, den Raum betrat, um seine Gefangene zu inspizieren, würde er sich von oben auf ihn fallen lassen. Vor dem nachfolgenden Kampf Mann gegen Mann hatte er keine Bange, nicht umsonst galt er als erfahrener und gut trainierter WingTsun-Kämpfer.
    Er hatte Glück. Die Bretter erwiesen sich als so alt und morsch, dass er sich schon wenig später über das Loch in der Decke beugen und nach unten sehen konnte. Er gab Karin ein Zeichen, Ruhe zu bewahren und nicht zu ihm hochzustarren – keinen Augenblick zu früh.
    Vor dem Haus erstarb ein Motor, eine Fahrzeugtür klatschte, Schritte klangen auf. Dann herrschte Stille, eine sich endlos dehnende, zermürbende Stille. Vermutlich filzte Alvarez gerade seinen Wagen. Sollte er. Er würde ihm wenig Aufschluss geben. Nach weiteren endlosen Minuten hörte Henning ein Geräusch an der Eingangstür, dann ein heftiges Rütteln. Dabei schien sich die Sperre am Türgriff gelöst zu haben. Die Tür ging auf, und man hörte knirschende Schritte, erneut gefolgt von lähmender Stille. Inzwischen musste Alvarez vor der gesprengten Kette stehen. Was schloss er wohl daraus? Was würde er unternehmen? Henning hätte in diesem Augenblick alles dafür gegeben, hinter die Stirn des Unbekannten schauen zu können.
    Da, ein Flüstern …
    Ein Flüstern? Hatte er richtig gehört? Spazierte da unten ein zweiter Mann herum? Dann wären seine Chancen, heil hier rauszukommen, so gut wie null, von der Rettung Karin Winters ganz zu schweigen.
    Eine Tür scharrte über den Boden, etwas Schweres trappelte die Treppe herauf. Voll böser Ahnungen fuhr Henning herum.
    Was er sah, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren.

19
    Offenbar war es nicht die erste Tür, die Vespermann knackte. Kurz oberhalb des Schlosses schob er die Brechstange zwischen Tür und Rahmen. Dann drückte er den Hebel in Richtung Tür. Das hässliche Geräusch splitternden Holzes ertönte, gefolgt von einem kurzen Knall – die Tür war offen.
    Als Erstes drangen die Uniformierten ein; sie hatten die Aufgabe, den Raum zu sichern. Schnell steckten sie ihre Waffen wieder weg: Außer dem Mann hinter dem Schreibtisch war niemand zu sehen.
    Die Vögel waren ausgeflogen.
    Auch wenn der eine oder andere zweimal hinsehen musste: Bei dem Mann hinter dem Schreibtisch handelte es sich zweifelsfrei um Karl-Heinz Grabert. Die Entsprungenen hatten ihn bis auf die Unterwäsche ausgezogen und an den Bürostuhl gefesselt. Sein Mund war mit einem Pflaster zugeklebt, über dem rechten Auge prangte eine klaffende Wunde, ein dünnes rotes Rinnsal lief bis zu seinem Kinn herab. Blut.
    Scharf untersagte seinen Kollegen, sich um Grabert zu kümmern. »Nicht, bevor ich vom Tatort ein paar Aufnahmen gemacht habe«, erklärte er, zückte sein Handy und fotografierte aus allen Richtungen. Dann gab er Grabert frei. »Dass mir keiner schlampt bei der Spurenaufnahme«, ermahnte er seine Kollegen.
    Wenig später war Grabert das Pflaster los und von seinen Fesseln befreit. Er reckte und massierte kurz seine eingeschlafenen Glieder, dann stand er auf.
    »Wenn Sie uns den Tathergang kurz schildern wollen, Herr Grabert«, forderte Scharf ihn auf.
    »Jetzt?«, fragte Grabert entrüstet. »Entschuldigen Sie, Herr Kommissar, aber Sie haben sie wohl nicht mehr alle. Das Wichtigste ist doch wohl, die beiden Kerle wieder in die Hände zu bekommen. Mein Bericht kann warten, der läuft Ihnen nicht davon.«
    Wolf nickte zustimmend, bevor er Scharf zur Seite zog. »Pass auf«, sagte er halblaut, sodass die anderen es nicht hören konnten: »Niemand will dir ins Handwerk pfuschen, damit das klar ist. Am wenigsten wir. Aber wo Grabert recht hat, hat er recht. Das Einfangen von Bullock und Maroni sollte absolute Priorität haben. Weiß Gott, was die

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