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Seerache

Seerache

Titel: Seerache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Megerle
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undefinierbaren Bündel darauf.
    »Hallo, ist da jemand?«, rief er halblaut durch den Spalt.
    Da kam Leben in das Bündel; langsam richtete es sich auf und nahm unversehens menschliche Gestalt an – die Gestalt einer dunkelhaarigen, bleichgesichtigen Frau. Mit großen Augen sah sie zu ihm herüber.
    »Wer … sind … Sie?«, fragte sie krächzend.
    »Sie sprechen Deutsch? Sind Sie Frau Winter?«
    »Gott sei Dank, dass Sie da sind! Ja, die bin ich. Bitte holen Sie mich hier raus.«
    Während Henning sein Handy hervorzog und eine Kurzwahltaste drückte, stellte er sich vor. »Ich bin Hauptkommissar Henning Wolf, Zielfahnder beim  LKA . Wir kennen uns, sicher erinnern Sie sich noch an mich. Sie sollten jetzt erst mal ruhig liegen bleiben, Frau Winter. Ich muss diese Kette hier knacken.«
    Er stieß einen stillen Fluch aus und steckte das Handy wieder ein – er hatte keine Verbindung bekommen, offenbar befand er sich in einem Funkloch. Umso rascher machte er sich nun auf die Suche nach einem geeigneten Werkzeug, etwas, was er zum Knacken der Kette benutzen konnte, doch leider ergebnislos. Wütend trat er mit dem Fuß gegen die Tür, einmal, zweimal, ein halbes Dutzend Mal. Weder riss die Kette, noch lösten sich unter den Tritten die Schrauben aus dem Holz.
    »Keine Bange, Frau Winter, ich kriege Sie hier raus, und wenn es das Letzte ist, was ich tue.«
    Er ging zu seinem Wagen und durchwühlte den Kofferraum. Nirgends ein Werkzeug. Nur ein Wagenheber. Er sah sich das Ding genauer an. Es handelte sich um einen herkömmlichen Scherenwagenheber, wie er zur Standardausrüstung der meisten Kraftfahrzeuge gehörte.
    Ziemlich mühelos konnte so ein Ding ein Auto anheben. War das Aufbrechen einer Tür dagegen nicht der reinste Pipifax? Einen Versuch war es wert. Er kurbelte den Wagenheber auf die niedrigste Stufe, schob ihn auf Höhe der Kette quer in den Spalt – und atmete erst mal erleichtert auf. Wäre das Gerät auch nur einen Zentimeter größer gewesen, er hätte seinen Plan vergessen können. Es hätte nicht mehr dazwischen gepasst.
    Er begann zu kurbeln. Bald war der Heber stramm zwischen Tür und Leibung gespannt, ab jetzt musste er nicht mehr gehalten werden. Die Kette wurde immer strammer gezogen, jede Drehung des Mittelteils presste die Backen des Hebers etwas weiter auseinander, ließ die Sicherheitsschließung heftiger ächzen – bis die auf der hölzernen Leibung angeschraubte Metallplatte mit einem berstenden Knall aus der Wand gerissen wurde und der Heber, nun ohne Halt, mit Getöse auf den Terrazzoboden fiel.
    Der Weg nach innen war frei.
    Henning drückte die Tür auf und trat an die Liege. »So, meine Liebe, darf ich Sie einladen, mitzukommen? Ihr Ferienaufenthalt an dieser … nein, nicht gastlichen, sondern  garstigen  Stätte ist hiermit beendet.«
    Zu seiner Verwunderung blieb Karin sitzen. »Ich kann nicht«, erklärte sie. »Mein rechter Fuß ist an die Liege gekettet. Sagen Sie, Sie haben nicht zufällig etwas Wasser dabei?«
    »Wasser!« Er griff sich an die Stirn. »Klar hab ich Wasser dabei. Einen Moment, ich bin gleich wieder zurück.«
    Er eilte zu seinem Wagen, um die Flasche zu holen. Während er die Wagentür schloss, warf er einen Blick auf den Fahrweg – und zuckte heftig zusammen. In hohem Tempo näherte sich eine Staubwolke der Finca. Hatte er sich verrechnet? War Alvarez doch nicht nach Palma zurückgekehrt? Bekam er es mit einem neuen Gegner zu tun? Oder war es seiner Dienststelle gelungen, die  Guardia Civil  schneller als erwartet in Marsch zu setzen, nachdem die vereinbarten Kontrollanrufe ausgeblieben waren? Wer es auch sein mochte, er musste schleunigst zurück ins Haus.
    »Wir bekommen Besuch«, berichtete er in leichtem Tonfall.
    »Wer ist es?« Karins Augen waren plötzlich schreckgeweitet.
    »Vermutlich dieser Alvarez. Wir werden’s gleich erfahren.« Während er Karin die Flasche an die Lippen setzte und sie in kleinen Schlucken trinken ließ, rasten seine Gedanken. Was konnte er tun? Er war waffenlos, einem bewaffneten Gegner also auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.
    Jetzt erkannte er, dass er sich mit Alvarez’ Verfolgung in die Nesseln gesetzt hatte! Gewiss, seine Einsicht kam spät, vielleicht  zu  spät. Aber hatte er eine Alternative gehabt? Wohl nicht.
    In fieberhafter Eile begann er, die Haustür zu blockieren. Er fand eine passende Holzlatte, die er unter den Türgriff presste, sodass sich der Riegel nicht ausklinken ließ. In der Zwischenzeit

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