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Seerache

Seerache

Titel: Seerache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Megerle
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dann werden wir wohl einen der beiden Fälle an ein anderes Dezernat abgeben müssen. Es sei denn …«, er machte eine kleine Pause und sah Vespermann an. »Es sei denn, wir teilen uns auf. Jo und ich führen die Ermittlungen bei den Bankern fort, während Gerd sich schwerpunktmäßig um den Barmann kümmert.«
    »Gute Idee«, stimmte Sommer nach kurzem Überlegen zu. »Ich verlass mich auf euch. Und noch was, Leo: Vielleicht kannst du mal einen Blick in diese Akte hier werfen. Die Markdorfer Kollegen bitten uns um Stellungnahme.«
    Wolf, der schon ungeduldig von einem Fuß auf den anderen getreten war, griff nach der Akte und öffnete die Tür. »Geht klar, Ernst.« Schon war er draußen. Zu seiner Verwunderung hielt Vespermann mühelos Schritt.
    ***
    »In nomine patris et filii et spiritus sancti.«
    »Amen.«
    Nach dem Segen des Pfarrers und der üblichen Bekreuzigung strebte das Häuflein der Trauernden dem Ausgang zu.
    Bereits während der Trauerrede waren Karin Zweifel gekommen, ob die Teilnahme an der Beerdigungszeremonie ihr wirklich weiterhelfen konnte. Bei dem Toten handelte es sich um einen Handwerksmeister, der sich Zeit seines Lebens mit dem Herstellen von Fenstern und Türen beschäftigt hatte. Nach allem, was sie wusste, hatte er ein stinknormales Leben geführt, ohne sonderliche Höhen und Tiefen. Es gab nichts, was auffällig oder gar verdächtig gewesen wäre.
    Beim Verlassen der Aussegnungshalle nahm sie die kleine Trauergemeinde genauer unter die Lupe. Vorneweg gingen die offenbar einzigen Angehörigen des Toten, seine Schwester und deren Mann; sie hatten die Todesanzeige im »Seekurier« geschaltet. Draußen standen sie mit versteinerten Mienen ein paar Schritte abseits, unnahbar, so empfand es Karin, als wollten sie jeden Annäherungsversuch im Keim ersticken.
    Bei der Trauergemeinde handelte es sich dem Augenschein nach um die übliche Klientel: Freunde, Nachbarn, Arbeitskollegen, allesamt bieder und bodenständig und ohne die geringste Auffälligkeit – bis auf eine kleine, stämmige Frau vielleicht, die sich dezent im Hintergrund hielt. Sie wirkte gepflegt und war gut gekleidet. Trotz ihres Alters – Karin schätzte sie auf um die sechzig Jahre – trug sie hochhackige Schuhe; an ihrem rechten Arm hing eine Tasche von Louis Vuitton. Ihre dunklen Augen waren tränenumflort, alle Augenblicke führte sie unter hörbarem Schniefen ein Taschentuch an die Augen.
    Sie schien die einzige wirklich Trauernde zu sein.
    In welcher Beziehung mochte die Frau zu dem Toten gestanden haben? Jedenfalls in einer nahen, so viel stand für Karin fest. Vielleicht, überlegte sie, war von ihr etwas in Erfahrung zu bringen – etwas, mit dem sich der Selbstmord hinreichend erklären ließ? Sie nahm sich vor, die Frau bei passender Gelegenheit anzusprechen.
    Karin hatte inzwischen mehrfach den Standort gewechselt und hier ein Wort und dort einen Satz aufgeschnappt, doch nichts, was irgendwie von Belang gewesen wäre. Alles schien vieldeutig und nichtssagend zugleich. Endlich hatte sich der kurze Trauerzug formiert. Karin wartete, bis sich die Frau mit der Louis-Vuitton-Tasche auf ihrer Höhe befand, bevor sie sich unauffällig neben ihr einreihte. Über endlos scheinende Wege folgten sie dem schlichten Sarg, den vier grau uniformierte Männer zuvor aus der Aussegnungshalle getragen und auf einen Wagen gesetzt hatten.
    Der Predigt am offenen Grab hörte sie nur mit halbem Ohr zu. Doch kaum hatten die Männer den Sarg in die Grube gelassen und der Priester den abschließenden Segen erteilt, da erwachte ihr Jagdinstinkt wieder zum Leben. Sie wollte die neben ihr stehende Frau in ein Gespräch verwickeln, damit ihr Gastspiel hier nicht völlig für die Katz war.
    Noch während sie sich eine unauffällige Einleitung zurechtlegte, kam ihr der Zufall zu Hilfe. Beim letzten »Amen« schluchzte die Frau laut auf und begann, wie ein Rohr im Wind zu schwanken. Reflexartig legte ihr Karin den Arm um die Schultern und hielt sie fest.
    So schnell der Schwächeanfall gekommen war, so schnell war er auch wieder vorüber. Mit feuchten Augen blickte die kleine Frau zu ihr hoch. »Tut mir leid, wenn ich Sie erschreckt habe. Danke für Ihre Hilfe.«
    »Ich bitte Sie, das ist doch selbstverständlich. Sie haben den Verstorbenen wohl gut gekannt?«
    »Oh ja, Herr Seitz und ich, wir waren Nachbarn«, sagte die Frau, während sie langsam in Richtung Ausgang gingen. »Und Sie? Gehören Sie zur Familie? Darüber hat er nämlich nie

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