Seeteufel
hoch.
Wieder tauchten unzählige Kerzen die Halle in ein flackerndes Licht. Fast fühlte sich Wolf an eine Christmette erinnert. Weniger ob der dicht an dicht stehenden Menschen und der voll Inbrunst vorgetragenen Choräle, die wie ein Klangteppich über dem Raum lagen. Eher schon wegen der erwartungsfrohen Gesichter und der weiÃen Gewänder, die ausnahmslos alle Anwesenden trugen. Sie verliehen der Ansammlung etwas seltsam Unwirkliches, um nicht zu sagen Spukhaftes.
Wolf fühlte sich unbehaglich. Wie sollten sie in diesem Gedränge zu Bretschwiler alias Gabriello vordringen, ihn gar zu einer Aussage bewegen? Schon einmal hatten sie die Feindseligkeit der Sektenmitglieder zu spüren bekommen. Ach was, tat Wolf seine Bedenken ab. Alles Firlefanz. Schnell wechselte er einen Blick mit Vögelein, dann deutete er zum hinteren Ende des Raums, auf das bis zu ihrem Eintreffen die Blicke der Anwesenden gerichtet waren. Dort baumelte die einzige elektrische Lampe von der Decke, und dort würden sie vermutlich auch den »Meister« finden. Höchst unwillig nur machten die Umstehenden Platz, als sie sich durch die Menge drängten.
Dann standen sie vor Bretschwiler. Als hätte er auf sie gewartet, hob er die Arme, das aufkommende Murren der Sektenmitglieder verstummte, mit ihm der Gesang.
»Herr Bretschwiler, wo können wir Sie kurz sprechen?«, sprach Wolf in die Stille und hoffte, dass er seiner Stimme genügen Festigkeit verleihen konnte.
Sein Ansinnen löste unterschiedliche Reaktionen aus. Im Gegensatz zu dem »Meister«, der keine Miene verzog, begannen seine Anhänger nun erneut zu grummeln, lauter diesmal und drohender. Und wieder war es Bretschwiler, der mit seinen Händen die Menge zum Schweigen brachte.
»MäÃigt euch, meine Schwestern, meine Brüder«, rief er den Umstehenden zu, »diese beiden Männer tun nur ihre Pflicht.« Danach wandte er sich direkt an Wolf: »Sprechen Sie ruhig hier, vor aller Ohren, Herr Kommissar. In unserer Gemeinschaft gibt es keine Geheimnisse.« Damit legte er die Hände wie betend aneinander und wartete auf Wolfs Fragen.
Wolf lieà sich nicht lange bitten. Er wusste aus Erfahrung, dass es gerade in solchen Situationen mehr als sonst auf forsches Auftreten ankam. »Wir haben eigentlich nur eine Frage, Herr Bretschwiler: Wer auÃer Ihnen übt in Ihrer Glaubensgemeinschaft noch leitende Funktionen aus?«
»Leitende Funktionen? Wie meinen Sie das? Wir sind, wie Sie sehr richtig bemerkten, eine Glaubensgemeinschaft auf der Suche nach dem Schöpfer und dem ewigen Leben. Wir sind kein Unternehmen, bei uns gibt es keine Hierarchien â¦Â«
»Ich bitte Sie, Herr Bretschwiler, Sie werden doch so etwas wie einen Stellvertreter, eine rechte Hand haben, jemand, der sich um die Organisation und die Abwicklung des ganzen Betriebes hier kümmert.« Wolf wies mit den Händen auf die Menge hinter sich. »Mit dieser Person oder diesen Personen hätten wir gerne ein paar Worte gewechselt, und zwar in einem anderen Raum, wenn ich bitten dürfte. Also?«
Das Murren schwoll an, die Umstehenden schlossen noch dichter auf, falls das überhaupt möglich war. Die von Wolf hartnäckig gebrauchte Anrede »Bretschwiler« musste sie verunsichern, ja empören. Wer sich so respektlos verhielt, konnte nichts Gutes im Schilde führen.
»So beruhigt euch doch, meine Brüder und Schwestern. Ihr wisst, unsere Wege liegen in der Hand des Herrn.« Bretschwiler setzte alles daran, die Wogen zu glätten. Und tatsächlich, die Atmosphäre schien sich etwas zu entspannen. »Lasst mich den Herren von der Polizei antworten: Ja, es gibt in der Tat zwei Brüder, die den von Ihnen angesprochenen Aufgaben nachkommen und die dennoch Gleiche unter Gleichen sind, wie Gott, der Herr es in seiner Güte befiehlt.«
»Und wer ist das? Sind die Herren anwesend?«
»Wo sind Rufus und Jakobus?«, fragte Bretschwiler in die Runde. Allgemeines Achselzucken war die Antwort.
»Dürfen wir Sie fragen, wie die richtigen Namen dieser beiden Herren lauten?«, meldete sich nun Vögelein zu Wort.
»Unsere Brüder haben, wie wir alle hier, ihre Namen von Gott, dem Herrn erhalten. Ich bedaure, aber wir kennen keine weltlichen Namen.«
»Sie werden bald noch etwas ganz anderes bedauern, Herr Bretschwiler, wenn Sie nicht mit uns kooperieren. Dann müssen wir Sie nämlich zur
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