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Seeteufel

Seeteufel

Titel: Seeteufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Megerle
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ihr. Das war nicht weiter verwunderlich, beschrieb doch der Weg in diesem Abschnitt einige Windungen, sodass sie hinter sich bestenfalls zwanzig, dreißig Meter überblicken konnte. Ohne sich weiter den Kopf zu zerbrechen, setzte sie ihren Lauf fort.
    Zehn Minuten später erreichte Karin eine Wegkreuzung. Sie nahm, wie gewohnt, den nach links führenden Pfad, der kurvenreich durch eine Fichtenschonung, etwas später durch jungen Mischwald führte und sich schließlich in einem scharfen Knick nach Westen wandte, vorbei an einem markanten Eichenhain, in dem an wärmeren Tagen zwei rustikale hölzerne Bänke und ein Tisch zur Rast einluden.
    Karin allerdings war nicht nach Pause zumute. Immer häufiger hatte sie in den letzten Minuten hinter sich das Klackern von Stöcken vernommen, verschiedentlich sogar geglaubt, Schritte zu hören. Doch immer, wenn sie stehen blieb, schien der nachfolgende Läufer auf denselben Gedanken gekommen zu sein. Eigenartig! Langsam begann sie, nervös zu werden. Sollte sie umkehren und ihm entgegenlaufen? Dazu fehlte ihr plötzlich der Mut. Es wäre schließlich nicht das erste Mal, dass sich ein Sittenstrolch an einer allein laufenden Frau vergreifen würde, zumal in einem so schwach frequentierten Waldgebiet. Oder sollte der Mensch hinter ihr etwa ein ganz anderes Motiv verfolgen? Eines, das mit dem Anschlag in ihrer Wohnung und den Drohanrufen zusammenhing? Karin wurde es abwechselnd heiß und kalt. Hatte man sie nicht gewarnt – und hatte sie diese Warnung nicht in den Wind geschlagen?
    Das Beste wäre, Hilfe herbeizurufen. Aber wie? Ihr Handy lag im Auto, und der Akku war leer. Ausgerechnet heute musste ihr das passieren! Sollte sie davonlaufen? Aber wovor? Mit Gewalt zwang sie sich zur Ruhe. Erst mal musste sie wissen, was überhaupt hinter ihr vorging. Wenn es ernst wurde, konnte sie immer noch schreien. Oder sich mit ihren Stöcken zur Wehr setzen. Oder … ja, richtig, das war’s! Sie griff in die rechte Seitentasche ihrer Sportjacke, in der sie normalerweise ihr Pfefferspray verwahrte.
    Doch da war nichts, die Tasche war leer.
    Nun erst wurde ihr der ganze Ernst ihrer Lage bewusst. Zwar war sie alles andere als ängstlich und scheute normalerweise vor keiner Auseinandersetzung zurück, solange sie eine reelle Chance sah – aber würde sie die haben? Sie wusste um die Ohnmacht überfallener Frauen, hatte mit einigen von ihnen gesprochen, über sie geschrieben – und sich jedes Mal gefragt, wie sie selbst eine solche Situation überstehen würde.
    Langsam gewann ihr Verstand wieder die Oberhand. Im Weiterlaufen spielte sie noch einmal alle Möglichkeiten durch. Einfach losrennen? Versuchen, quer durch den Wald zu entkommen? Oder doch den Stier bei den Hörnern packen und zurückgehen, dem Verfolger entgegen? Vielleicht entpuppte sich die Hatz ja auch als Missverständnis und ihre Befürchtungen erwiesen sich als unbegründet.
    Noch während sie die verschiedenen Möglichkeiten gegeneinander abwog, wurde ihr die Entscheidung abgenommen: Unvermittelt war der vor ihr liegende Wegabschnitt gesperrt. Irgendjemand hatte mehrere kräftige Äste übereinandergelegt, ein schnelles Durchkommen war unmöglich. Auf einem handgeschriebenen Zettel stand »Kein Durchgang, Gefahr durch Astbruch«. Unterzeichnet war die Warnung mit »Das Forstamt«.
    Sie saß in der Falle!
    Oder doch nicht? Unmittelbar vor der Absperrung zweigte ein schmaler, unscheinbarer Pfad nach links ab. Karin war ihn noch nie gegangen, sie wusste lediglich, dass er zum Startplatz der Drachenflieger führte. Fieberhaft suchte sie nach einem Ausweg, doch nichts wollte ihr einfallen. Eines war jedenfalls klar: Falls sie ein Zusammentreffen mit dem unsichtbaren Verfolger vermeiden wollte, musste sie hier abbiegen, je schneller, desto besser. Was aber würde sie am Ende des Pfades erwarten? Sie wusste, dass das Gelände seeseitig steil abfiel. Ob es eine Möglichkeit gab, vom Rand des Abbruchs zu Fuß zum Talgrund zu gelangen? Egal, irgendwie würde sie den Abstieg schon schaffen, sie hatte genügend Bergerfahrung, und schwindelfrei war sie auch. Schon wollte sie auf den schmalen Pfad einschwenken, als sie sich, einem inneren Zwang gehorchend, noch einmal umwandte.
    Da sah sie ihn!
    Kaum dreißig Schritte von ihr entfernt verharrte der Mann bewegungslos mitten auf dem Weg und starrte zu ihr

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