Segeln im Sonnenwind
mit großen Augen erlebt, und die offiziell einundvierzigjährige Maureen Smith riß 1940 die Augen noch mehr auf, als sie dieser Stadt ansichtig wurde, so viele neue Wunder gab es dort zu sehen.
Eine Veränderung gefiel mir allerdings nicht: Wenn ich 1893 mal nach Einbruch der Dunkelheit draußen gewesen war, hatten sich weder Vater noch ich Sorgen gemacht. 1940 achtete ich sorgsam darauf, nachts nur in Begleitung Brians das Haus zu verlassen.
Unmittelbar vor dem Parteitag der Demokraten 1940 endete der »Sitzkrieg« und fiel Frankreich. Am 6. Juni evakuierten die Briten aus Dünkirchen in Frankreich das, was von ihren Truppen noch übrig war, ein Ereignis, dem eine der größten Reden der Geschichte folgte: »… wir werden am Strand gegen sie kämpfen, wir werden auf den Straßen gegen sie kämpfen, wir werden uns niemals unterwerfen!«
Vater rief bei Brian an und teilte ihm mit, daß er im Begriff stand, sich beim American Field Service zu melden. »Brian, diesmal erklärt mich sogar die Heimatmiliz für zu alt. Der Field Service jedoch akzeptiert Mediziner, die von der Armee abgelehnt wurden, um sie im Kriegsgebiet zur Unterstützung einzusetzen. Dazu nehmen sie jeden, der ein Bein absägen kann – also mich zum Beispiel. Falls das meine einzige Chance ist, einen Beitrag zum Kampf gegen die Hunnen zu leisten, dann tue ich es eben – ich schulde es Ted Bronson. Verstehst du mich?«
»Ich verstehe dich vollkommen.«
»Wie schnell kannst du jemanden auftreiben, der an meiner Stelle auf die Kinder aufpaßt?«
Ich konnte beide Sprecher verstehen, also ging ich selbst ran. »Vater, Brian kann im Moment nicht nach Hause kommen, ich dagegen schon. Obwohl es vielleicht noch schneller geht, wenn ich Betty Lou bitte einzuspringen. Egal wie, du kannst unbesorgt deine Pläne verfolgen. Aber Vater, hör mir gut zu! Paß ja auf dich auf, verstehst du?«
»Das mache ich, Kind.«
»Bitte, tue es wirklich! Ich bin stolz auf dich! Theodore ist auch stolz auf dich, das weiß ich.«
»Ich werde mich anstrengen, daß ihr beide stolz auf mich sein könnt, Maureen.«
Ich sagte rasch Lebewohl und legte auf, ehe mir die Stimme versagte. Briney machte ein nachdenkliches Gesicht. »Ich sollte mich lieber sofort darum kümmern, mein Alter für die Armee zu korrigieren. Sonst kommt noch jemand auf die Idee, auch ich wäre zu alt!«
»Briney! Du erwartest doch wohl nicht, daß du die Armee von deinem Howard-Alter überzeugen kannst? Sie haben dort endlose Akten über dich!«
»Oh, ich versuche bestimmt nicht, dem Generaladjutanten mein Howard-Alter weiszumachen, auch wenn ich nicht glaube, daß ich älter aussehe als die sechsundvierzig auf meinem Führerschein. Ich möchte lediglich die kleine Notlüge von 1898 korrigieren, als ich erst vierzehn war, aber schwor, ich wäre einundzwanzig.«
»Vierzehn, also wirklich! Du warst doch in Rolla bereits in den letzten Semestern!«
»Nur ein Fall von Frühreife, wie unsere Kinder. Ja, Schatz, ich war '98 in Rolla bereits im Abschlußsemester, aber im Kriegsministerium weiß das niemand mehr, und wahrscheinlich wird es ihnen auch keiner mehr verpetzen. Maureen, ein Oberst der Reserve hat mit sechsundfünfzig viel größere Chancen, zu den Waffen gerufen zu werden, als mit dreiundsechzig. Etwa hundert Prozent mehr.«
Ich benutze den Zeitagenten-Feldrecorder, der mit der Stimme bedient wird und in einer Körperhöhle versteckt ist. Nein, nein, nicht im Liebestunnel! Das ginge überhaupt nicht, da Zeitagentinnen keine Nonnen sind und das auch nicht von ihnen erwartet wird. Ich meine eine künstliche Höhlung dort, wo früher meine Gallenblase war. Das Gerät soll tausend Stunden Laufzeit haben, und ich hoffe, daß es richtig funktioniert. Falls diese Gespenster hier mich abmurksen – besser »wenn sie mich abmurksen« –, hoffe ich, daß Pixel jemanden zu meiner Leiche führt, damit das Zeitkorps die Aufzeichnungen bergen kann. Ich möchte, daß der Kreis versteht, was ich zu erreichen versucht habe. Wahrscheinlich hätte ich es in aller Offenheit tun sollen, aber dann hätte bestimmt Lazarus die Aufgabe an sich gerissen. Im nachhinein bin ich immer schlauer; in der anderen Richtung klappt es schon weniger gut.
Es gelang Brian, sein offizielles Alter beim Militär zu ›korrigieren‹, und zwar schlicht deshalb, weil sein General ihn haben wollte. Er erreichte es allerdings nicht, an der Front eingesetzt zu werden. Statt dessen kam der Krieg zu ihm. Brian hütete gerade einen
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