Segeln im Sonnenwind
Schreibtisch im Presidio, und wir wohnten in einem alten Haus auf dem Knob Hill, als die Japaner am 7. Dezember 1941 ihren Überraschungsangriff auf San Francisco durchführten.
Es ist ein merkwürdiges Gefühl, in den Himmel zu schauen und Flugzeuge über sich zu sehen, das Dröhnen ihrer Triebwerke tief in den Knochen zu spüren, die Bomben aus ihnen regnen zu sehen und dabei genau zu wissen, daß es zu spät zum Weglaufen ist, zu spät, sich zu verstecken, und daß man keinerlei Einfluß darauf hat, wo diese Bomben einschlagen werden – bei einem selbst oder bei Häusern einen Block weit entfernt. Es ist keine Angst, eher ein Gefühl, als hätte man es schon tausendmal erlebt. Ich bin nicht scharf darauf, es noch einmal durchzumachen, aber ich weiß jetzt, warum Krieger (echte Krieger, keine Schlappschwänze in Uniform) immer an die Front möchten, nicht an den Schreibtisch. Im Angesicht des Todes lebt man am intensivsten. »Besser eine Stunde intensiv leben…«
Ich habe gelesen, daß auf Zeitlinie drei der Überraschungsangriff Hawaii galt, nicht San Francisco, und daß die Kalifornienjapaner danach ins Binnenland deportiert wurden. Wenn das stimmt, hatten sie richtig Glück, denn es ersparte ihnen das Blutbad von Zeitlinie zwei, wo von Sonntag, dem 7., bis Dienstag, dem 9. Dezember, mehr als sechzigtausend japanischstämmige Amerikaner gelyncht oder erschossen oder manchmal sogar lebendig verbrannt wurden. Hatte all das Einfluß darauf, was wir später mit Tokio und Kobe taten? Diese Frage stelle ich mir manchmal.
Kriege, die durch Überraschungsangriffe begonnen werden, verlaufen mit Sicherheit erbarmungslos. Sämtliche Geschichtsläufe beweisen das.
Die Lynchmorde führten dazu, daß Präsident Barkley Kalifornien unter Kriegsrecht stellte. Im April 1942 wurden die Bestimmungen gelockert, und nur ein zwanzig Meilen breiter Küstenstreifen, von der mittleren Fluthöhe aus gerechnet, blieb militarisiert. Diese Zone wurde im Norden bis Kanada ausgedehnt. In San Francisco war das Leben dadurch nicht sonderlich beeinträchtigt; es kam einem eher so vor, als lebte man in einer Garnison, und was die übliche Korruption in der Stadt anging, konnte man sogar eine deutliche Besserung der Lage feststellen. Nach Einbruch der Dunkelheit bestand jedoch direkt an der Küste immer die Gefahr, daß irgendein sechzehnjähriger Junge in der Uniform der Nationalgarde, bewaffnet mit einem Springfieldgewehr aus dem Ersten Weltkrieg, nervös wurde und Zuckungen in dem Finger bekam, den er am Abzug hielt.
Zumindest erzählte man sich das; ich habe es nie ausprobiert. Die Küste von Kanada bis Mexiko war Kriegsgebiet, und wer sich im Dunkeln dort hinwagte, riskierte den plötzlichen Tod. Viele fanden ihn auch.
Meine Jüngsten hatte ich bei mir – Donald, vier, und Priscilla, zwei. Die schulpflichtigen Kinder – Alice, Doris, Patrick und Susan – waren in Kansas City bei Betty Lou. Ich hatte auch den 1924 geborenen Arthur Roy eher für die Schule geeignet gehalten, aber sein Vetter Nelson vereidigte ihn am Tag nach der Bombardierung San Franciscos beim Marine Corps, zusammen mit seinem älteren Bruder Richard (Jahrgang 1914). Gemeinsam gingen die beiden auch nach Pendleton. Nelson war nur eingeschränkt diensttauglich, denn er hatte 1918 einen Fuß in Belleau Wood zurückgelassen. Justin gehörte zum War Production Board {1} in Washington, mußte aber in dessen Diensten regelmäßig reisen. Er stieg mehrfach bei uns auf dem Knob Hill ab.
Woodrow bekam ich bis Kriegsende überhaupt nicht zu sehen. Im Dezember 1941 erhielt ich von ihm eine Weihnachtskarte mit Poststempel aus Pensacola, Florida: »Liebe Mom, lieber Pop, ich verstecke mich hier vor den Japsen und zeige Pfadfindern, wie man mit dem Kopf nach unten fliegt. Heather und die Kleinen habe ich in Avalon Beach, Postfach 6320, untergebracht und schlafe daher meist zu Hause. Frohe Weihnachten und einen schönen Krieg wünsche ich Euch. Woodrow.«
Die nächste Karte, die wir von ihm erhielten, kam aus dem Royal Hawaiian in Waikiki: »Der Service in diesem Hotel reicht nicht ganz an das Niveau aus Friedenszeiten heran, ist aber besser als in Lahaina. Trotz aller gegenteiligen Gerüchte sind die Haie von Lahaina Roads keine Vegetarier. Ich hoffe, Euch geht es auch gut. W.W.«
Das war unser erster Hinweis darauf, daß Woodrow an der Schlacht von Lahaina Roads teilgenommen hatte. Ob er nun an Bord der Saratoga gewesen war, als sie sank, oder ob er mit dem Fallschirm hatte
Weitere Kostenlose Bücher