Segeln im Sonnenwind
nächsten Umschlag in Mr. Harrimans Gegenwart öffnen. George, wenn die Öffentlichkeit, speziell die Wall Street, davon Wind bekäme, daß ihr Geschäftsentscheidungen nach den Ratschlägen einer Wahrsagerin trefft, könnte das Harriman Industries zum Schaden gereichen, nicht wahr?«
»Ich denke, da hast du recht. In Ordnung, ein Geheimnis also.« Auf einmal lächelte er. »Wenn ich allerdings behaupten würde, einen Astrologen zu konsultieren, hielte das die Hälfte all dieser Spinner für ›wissenschaftlich‹.«
»Beenden wir das Thema jetzt lieber, und schauen wir mal, ob unser Ackergaul wieder Interesse daran gewinnen könnte, mich durchzupflügen. George, haben alle Männer in deiner Familie einen übergroßen Penis?«
»Nicht, daß ich wüßte, und ich glaube auch, daß du mir nur zu schmeicheln versuchst.«
»Na ja, mir kommt er groß vor. Heh! Und er wird noch größer!«
KAPITEL EINUNDZWANZIG
DER ZAHN DER SCHLANGE
Meine Probleme während der folgenden zehn Jahre waren Prinzessin Polly, Priscilla, Donald, George Strong sowie ein merkwürdiges metaphysisches Problem, für das ich bis heute keine Lösung kenne, obwohl ich mich ausgiebig darüber mit meinem Gatten und Freund Dr. Jubal Harshaw unterhalten habe, ebenso wie mit einigen der allerbesten mathematisch-manipulativen Kosmologen aller Universen, angefangen mit Elizabeth »Slipstick Libby« Long. Es geht dabei um das uralte Pseudoparadoxon des freien Willens und der Prädestination.
Der freie Wille ist eine Tatsache, solange man in seinem Wirkungskreis lebt. Die Prädestination ist eine Tatsache, wenn man irgendeine Abfolge von außen betrachtet.
In der Welt-als-Mythos haben jedoch weder der »freie Wille« noch die »Prädestination« irgendeine Bedeutung. Beides sind semantische Nullen. Falls wir alle tatsächlich nur fiktive Strukturen darstellen, zusammengesetzt von Fabeldichtern, dann kann man genausogut Schachfiguren den ›freien Willen‹ zuordnen. Wenn die Partie vorüber ist und die Figuren wieder in ihrer Schachtel liegen, seufzt dann vielleicht die rote Dame im Schlaf »Oh, hätte ich doch nie diesen Bauern geschlagen!«?
Lächerlich.
Ich bin allerdings kein Gebilde aus Fiktionen. Ich wurde nicht von einem Fabeldichter ersonnen. Ich bin eine menschliche Frau, Tochter menschlicher Eltern und Mutter von siebzehn Jungen und Mädchen in meinem ersten Leben sowie von noch mehr nach der ersten Verjüngung. Sollte ich vom Schicksal gesteuert sein, dann von einem Schicksal, das in meinen Genen begründet liegt, nicht einem, das ein kurzsichtiger Introvertierter ausgebrütet hat, während er zusammengesunken über einem Roboschreiber hockte.
Mein Problem ergab sich damals daraus, daß wir uns gegen Ende des Jahrzehnts einer von Theodore angekündigten Tragödie näherten, die man möglicherweise hätte verhindern können. Oder hätte ich sie doch nicht verhindern können? Hätte allein mein freier Wille ausgereicht, die goldenen Ketten der Prädestination zu sprengen? Hätte ich tatsächlich ein Ereignis verhindern können, nur weil ich schon vorher wußte, daß es eintreten würde?
Kehren wir die ganze Sache mal um. Wenn ich ein Ereignis verhindert hätte, wie konnte ich dann vorher wissen, daß es passieren würde?
Der geneigte Leser sollte nicht versuchen, daraus schlau zu werden. Er würde sich dabei nur im Kreise drehen.
Ist es überhaupt möglich, eine Verabredung auf Samarra zu schwänzen?
Ich wußte, daß der Energiesatellit explodieren und alle an Bord töten würde. Allerdings wußte 1952 noch niemand, daß es jemals einen Energiesatelliten geben würde. Damals gab es noch nicht mal einen Bauplan dafür.
Was also sollte oder mußte ich tun?
Am Freitag teilte mir Dr. Rumsey mit, daß Priscilla nicht schwanger war, wohl aber körperlich reif dafür. Er wäre auch bereit, eine veränderte Geburtsurkunde auszustellen, falls ich das wünschte, die ein Alter irgendwo zwischen dreizehn und neunzehn auswiese. Seiner Meinung nach zeichnete sich Priscilla jedoch nach wie vor durch eine kindliche Haltung aus.
Ich fand das auch. »Vielleicht brauchen wir eine Altersangabe von mindestens sechzehn.«
»Ich verstehe. Ihr Bruder bumst sie, nicht wahr?«
»Ist dieser Raum abhörsicher?« fragte ich.
»Ja, genau wie meine Sprechstundenhilfe. Wir haben in dieser Hinsicht schon allerlei erlebt, vieles davon schlimmer als ein kleiner Bruder-Schwester-Inzest. Letzte Woche hatten wir einen Fall von ›sein Bruder bumst ihn‹ –
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