Segeln im Sonnenwind
verhielt ich mich ihnen gegenüber so, wie sie mir gegenüber auftraten. Wer mich regelmäßig anrief, durfte von mir das gleiche erwarten. Manche bekamen nur Geburtstagsgrüße und sonst nicht viel. Was meine Enkel angeht, nun, 181 Menschen kann man sich weder intensiv noch gerecht widmen, und diese Zahl hatte ich bis zu meinem neunundneunzigsten Geburtstag erreicht.
Manche Menschen liebte ich sehr, ohne daß sie überhaupt mit mir verwandt waren. Dazu gehörte die kleine Helen Beck, die in Carols Alter war; die beiden besuchten gemeinsam die erste und zweite Klasse der Greenwood-Schule. Helen war reizend und durch und durch gutherzig. Da ihre verwitwete Mutter zur Arbeit gehen mußte, verbrachte das Kind viel Zeit in meiner Küche, bis wir zu weit weg zogen.
Trotzdem vergaß sie mich nicht, ebensowenig wie ich sie. Sie ging später ins Showgeschäft und reiste demzufolge viel herum. Wir gaben uns Mühe, uns gegenseitig über unsere Terminplanung auf dem laufenden zu halten, damit wir uns alle paar Jahre treffen konnten. Für eine Nicht-Howard wurde sie ziemlich alt, und sie blieb bis zu ihrem Tod eine Schönheit. Noch in ihren Siebzigern konnte sie nackt tanzen und verhalf jedem anwesenden Mann zu einer Erektion, obwohl sie ihren Tanzstil niemals provokant gestaltete.
Schon früh in ihrer Showkarriere wechselte Helen den Namen; die meisten Menschen kannten sie als Sally Rand. Ich liebte sie, und sie liebte mich. Wenn wir uns nach mehrjähriger Unterbrechung mal wieder begegneten, knüpften wir stets dort an, wo wir aufgehörten hatten – als wirklich enge Freundinnen.
Wir hatten auch eine Eigenheit gemeinsam – wir lernten so viel, wie wir nur konnten. Sally trat gewöhnlich abends auf; tagsüber besuchte sie als Gasthörerin den nächstgelegenen Campus. Als sie 1979 starb, konnte sie mehr Collegestunden vorweisen als die meisten Professoren. Sie war eine Universalgelehrte, die sich für einfach alles interessierte und es gründlich studierte. Sie trank nicht, und sie rauchte nicht; wenn sie eine Schwäche hatte, dann waren es große, dicke Lehrbücher.
Zu Nancy behielt ich eine engere Beziehung als zu den übrigen Kindern, und ich war vierundsechzig Jahre lang die Gelegenheitsgeliebte ihres Mannes. Das hatte Nancy schon entschieden, noch ehe sie Jonathan geheiratet hatte. Es geschah nicht oft, wohl aber jedesmal, wenn wir uns begegneten und sich eine Möglichkeit ergab. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Jonathan wirklich noch Interesse an meinem alten Kadaver fand, als ich die neunzig überschritt, aber er log entzückend, was das anging. Wir liebten einander wirklich, und eine Erektion ist das größte Kompliment, das ein Mann einer alten Frau machen kann.
Jonathan war ein richtiger Galan, und er erinnert mich stark an meinen Ehemann Galahad. Was ja auch kein Wunder ist, ist Galahad doch ein Nachfahre von Jonathan – und von mir natürlich, aber alle meine Ehemänner stammen ja von mir ab, außer Jake und Zeb, die in einer anderen Zeitlinie geboren wurden (Zeitlinie vier, Ballox O'Malley). (Oh, Pardon! Und Jubal selbstverständlich, Zeitlinie Drei.)
Als eine Art Gegenleistung für Nancys Einverständnis mit dieser Konstellation erhielt Brian ihren süßen jungen Körper – der erste Inzest in unserer Familie, glaube ich. Ich weiß nicht, ob sich das später wiederholte, und es geht mich auch nichts an. Nancy und ich ähnelten uns im Temperament; wir waren beide sehr an Sex interessiert, gingen die Sache aber entspannt an – eifrig, aber nicht verkrampft.
Carol… Für sie war ich stets bestrebt, mir den 26. Juni freizuhalten – Carols Tag, Carolitas Tag, Carolmas und schließlich für Millionen Menschen, die sie nie gekannt hatten, die Fiesta de Santa Carolita. Nach dem 26. Juni 1918 gab sie die Feier ihres Geburtstages ganz auf, um nur noch den Carols-Tag zu begehen.
Im Verlauf des Jahrzehnts, das ich größtenteils in Albu-querque verbrachte, wurden an Carols Tag in Reno oder Vegas mehrfach große Plakate von ihr ausgehängt. Sie feierte stets am 26. Juni, auch wenn eine Mitternachtsshow sie zwang, um vier Uhr früh damit anzufangen. Ihre Freunde kamen in hellen Scharen aus aller Welt, egal, wie früh es losging. Mit der Zeit wurde es als große Ehre betrachtet, zu Carolitas Jahresparty eingeladen zu werden, und es war etwas, worüber man in London und Rio prahlen konnte.
Carol heiratete 1920 Rod Jenkins aus der Familie Schmidt, als er gerade erst aus Frankreich zurückgekehrt war, ein
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