Segeln im Sonnenwind
überreicht hatte, sah nach, wie es dem Abendessen ging, drehte das Gas herunter – es war alles sorgfältig geplant! – und war bereit, als Briney nach Hause kam.
Er machte sich selbst die Tür auf; ich saß bereits in Positur. Er betrachtete mich von Kopf bis Fuß und sagte: »Joe hat mich geschickt. Ist das die richtige Adresse?«
»Kommt drauf an, was Sie suchen, Freundchen«, antwortete ich mit tiefer, schwüler Stimme. »Dürfte ich Ihnen die Spezialität des Hauses anbieten?« Dann gab ich Pose und Schauspiel auf. »Briney, Dr. Rumsey meint, alles wäre okay!«
»Du mußt dich schon deutlicher ausdrücken, kleines Mädchen. Was ist okay?«
»Alles ist okay! Ich bin wieder voll auf dem Dampfer.« Ich ließ auf einmal das Neglige fallen. »Komm, Briney! Lassen wir die Kasse klingeln!«
Und das taten wir, obwohl es zunächst nicht funktionierte. Erst Anfang 1901 landeten wir erneut einen Treffer. Trotzdem war schon der Versuch allein schwindelerregendes Vergnügen, und so unternahmen wir ihn ein ums andere Mal. Wie es Mammy Della mal ausgedrückt hat: »Herr im Himmel, Kind, da machstes hunnertmal und klappt nix dabei.«
Wie ist eigentlich Mammy Della in die Geschichte geraten? Ach ja, Brian hat sie aufgetrieben, als ich zu rund wurde, um noch mit der Wäsche klarzukommen. Unser erstes Haus, ein winziger Kasten an der Sechsundzwanzigsten Straße, lag ganz in der Nähe vom Ghetto; Della lebte nur einen Spaziergang von uns entfernt, und für einen Dollar und das Fahrgeld arbeitete sie einen ganzen Tag lang. Daß sie die Trambahn gar nicht benutzte, tat nichts zur Sache; der entsprechende Groschen gehörte einfach zum Vertrag. Della war als Sklavin zur Welt gekommen und konnte weder lesen noch schreiben, aber eine feinere Dame als sie habe ich niemals kennengelernt. Ihr Herz quoll über vor Liebe für alle, die sie zu akzeptieren bereit waren.
Ihr Mann war Aushilfskraft bei Ringling Brothers; ich bekam ihn nie zu Gesicht. Della kam auch dann weiter zu mir – oder zu Nancy, »ihrem« Baby –, als ich sie nicht mehr brauchte, und brachte manchmal ihr jüngstes Enkelkind mit, um es bei Nancy abzuliefern. Sie beharrte dann standhaft darauf, mir meine Arbeit abzunehmen. Manchmal konnte ich sie aufhalten, indem ich ihr eine Tasse Tee anbot, aber nicht oft. Später half sie mir wieder bei Carol und überhaupt bei jedem Baby, bis 1911, als »der Herr sie in Seine Arme aufnahm«. Wenn es einen Himmel gibt, ist Della dort.
Kann es sein, daß der Himmel für diejenigen, die glauben, so wirklich ist wie Kansas City? Das könnte passen, will mir scheinen; die Welt-als-Mythos-Kosmologie. Ich muß Jubal danach fragen, sobald ich wieder aus dem Kittchen heraus und in Boondock bin.
In den Feinschmeckerrestaurants von Boondock stehen »Kartoffeln à la Della« hoch im Kurs, wie auch einige weitere Rezepte von ihr. Della brachte mir eine Menge bei. Ich glaube nicht, daß ich ihr viel beibringen konnte, da sie in den Dingen, die wir gemeinsam hatten, viel klüger und erfahrener war als ich.
Meine ersten fünf ›Kassenbabys‹ sind folgende:
Nancy Irene, 1. Dezember 1899, oder 5. Januar 1900;
Carol (Santa Carolita), benannt nach meiner Tante Carole, 1. Januar 1902;
Brian jr, 12. März 1905;
George Edward, 14. Februar 1907;
Marie Agnes, 5. April 1909.
Nach Marie wurde ich erst im Frühling 1912 wieder schwanger. Das Ergebnis war mein Lieblingskind, der verdorbene Bengel Woodrow Wilson, identisch mit meinem späteren Liebhaber Theodore Bronson und sehr viel später auch mit meinem Gatten Lazarus Long. Ich weiß nicht, warum ich so lange nicht schwanger wurde; es war jedenfalls nicht so, daß wir es nicht versucht hätten. Briney und ich probierten bei jeder Gelegenheit, die Kasse zum Klingeln zu bringen. Es war uns auch egal, ob ich schwanger wurde oder nicht; wir taten es einfach zu unserem Vergnügen. Und wenn wir keinen Treffer landeten – na und? Das verschob höchstens die paar Wochen vor und nach jeder Geburt, in denen wir Verzicht leisten mußten… keineswegs auf alles; ich entwickelte einiges Geschick mit Händen und Mund, und Briney ebenfalls. Was jedoch das solide tägliche Vergnügen anging, zogen wir beide den altmodischen Sport vor, sei es in der Missionarsstellung oder in einer von achtzehn anderen Positionen.
Vielleicht könnte ich all die Gelegenheiten, bei denen ich nicht schwanger wurde, erklären, wenn ich einen Kalender der Mauven Dekade hätte, ergänzt um ein Register meiner Menstrualperioden.
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