Segeln im Sonnenwind
Kreisamtmann von Jackson County registrierte zwar Geburten, Todesfälle und Hochzeiten, die man ihm mitteilte, aber es zog auch keinerlei Folgen nach sich, wenn man ihm derartige Meilensteine nicht angab.
Wir meldeten Nancys Geburt korrekt der Stiftung; der Bericht wurde von mir und Brian unterschrieben und von Dr. Rumsey bestätigt. Einen Monat später reichte Dr. Rum-sey eine Geburtsurkunde mit dem falschen Datum beim Kreisamtmann ein.
Kein Problem – Nancy kam zu Hause zur Welt, wie alle meine Kinder bis in die Mitte der dreißiger Jahre. Deshalb existierten auch keine Krankenhausunterlagen, die die Sache hätten erschweren können. Am 8. Januar schrieb ich die glückliche Nachricht (mit falschem Datum) etlichen Leuten in Thebes und veröffentlichte eine Anzeige im Lyle County Leader.
Warum ein solch albernes Getue, um das Datum einer Geburt zu vertuschen? Weil die Gebräuche damals grausam waren, sehr grausam sogar. Die Leute hätten die Sache an den Fingern abgezählt und sich zugeflüstert, wir hätten heiraten müssen, um unserem sündigen Bastard einen ehrlichen Namen zu geben. Ja, dergleichen war Ausdruck der Häßlichkeit des Zeitalters von Bowdler, Comstock und Grundy, den Geiern, die das korrumpiert hatten, was eine Zivilisation hätte sein können.
Gegen Ende des Jahrhunderts gebaren alleinstehende Frauen dann ganz offen Kinder, deren Väter ihnen vielleicht bekannt waren, vielleicht auch nicht. Das drückte jedoch keine wirklich freie Kultur aus, sondern war lediglich der Ausschlag des Pendels ins andere Extrem und weder für die Mutter noch für das Kind besonders einfach. Die alten Regeln wurden gebrochen, ohne daß sich schon ein funktionsfähiger neuer Kodex entwickelt gehabt hätte.
Unsere schlaue Taktik verhinderte, daß irgend jemand in Thebes County auf die Idee kam, unsere süße kleine Nancy wäre ein »Bastard«. Natürlich wußte Mutter, daß das Datum gefälscht war, aber sie hielt sich nicht in Thebes auf, sondern war in St. Louis bei Opa und Oma Pfeiffer. Und Vater war zur Armee zurückgegangen.
Ich weiß immer noch nicht, was ich davon halten soll. Ein Mädchen sollte kein Urteil über seine Eltern fällen, und das werde ich auch nicht.
Der Spanisch-Amerikanische Krieg hatte mich Mutter nähergebracht. Ihre Sorge und ihr Kummer führten mich zu dem Schluß, daß sie Vater wirklich liebte; beide zeigten das den Kindern lediglich nicht.
Als sie mich dann an meinem Hochzeitstag ankleidete, gab sie mir jenen mütterlichen Rat, den die Braut traditionellerweise erhält und der den ehelichen Frieden sicherstellen soll.
Kann sich der geneigte Leser vorstellen, was sie mir gesagt hat? Er sollte sich lieber setzen!
Sie sagte, ich müßte mich meinem Gatten im Rahmen der »ehelichen Pflichten« ohne Widerwillen unterwerfen. So wäre nun mal der Plan des Herrn beschaffen, was man schon in der Genesis nachlesen könne, und es wäre der Preis, den Frauen für das Privileg zahlen müßten, Kinder zu bekommen. Wenn ich die Sache aus diesem Blickwinkel betrachten würde, könne ich mich heiteren Gemüts hingeben. Ich müßte erkennen, daß Männer andere Bedürfnisse hätten als wir und wir damit rechnen müßten, sie zu befriedigen. »Betrachte es nicht als tierisch oder scheußlich. Denke dabei immer an deine lieben Kinder!«
Ich sagte: »Ja, Mutter, ich werde dran denken.«
Was ist also passiert? Hat Mutter sich Vater verweigert, so daß er lieber wieder zur Armee ging? Oder hat er ihr erklärt, er wolle raus aus einer kleinen Stadt wie dieser, die so tief im Schlamm versunken wäre, um es lieber mit einer zweiten Karriere in der Armee zu versuchen?
Ich weiß es nicht und brauche es auch gar nicht zu wissen. Es geht mich nichts an. Vater handelte nach meiner Hochzeit so rasch, daß er es wohl schon vorher geplant haben mußte.
Seinen Briefen zufolge war er eine Zeitlang in Tampa stationiert, dann in Guantanamo auf Kuba, dann auf den Philippinen, auf Mindanao – wo die Moslem-Moros mehr von unseren Soldaten umbrachten, als es die Spanier je geschafft hatten – und schlußendlich in China.
Nach dem Boxeraufstand hielt ich ihn für tot, denn ich hörte lange nichts mehr von ihm. Dann meldete er sich aus der Garnison in San Francisco wieder und nahm in seinem Brief auf andere Schreiben Bezug, die ich nie erhalten hatte.
Im Jahr 1912 schied er aus der Armee aus. Er wurde in diesem Jahr sechzig; geschah es also aus Altersgründen? Ich habe keine Ahnung. Vater erzählte einem stets alles,
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