Seherin von Kell
ehrfürchtigem Staunen. »Alles, was ich zu eigen habe oder je besitzen werde, würde ich geben, diese sagenhafte Stadt zu sehen. Wie ist sie?«
»Groß, Baron«, antwortete Garion, »und ihre goldenen Steine spiegeln den Sonnenschein wider, als wollte sie sich mit der Pracht des Himmels messen.«
Die Augen des Barons füllten sich mit Tränen. »Welch Gnade mir zuteil wird, Herr Ritter«, preßte er aus zusammengeschnürter Kehle hervor. »Die unerwartete Begegnung mit einem Ritter von solchem Edelmut und solch wundersamer Beredsamkeit ist die Krönung meines Lebens, denn die Erinnerung an Vo Mimbre, die durch die endlosen Jahre hallt, hat uns Kraft gegeben, hier in unserem einsamen Exil. Doch mit jedem Jahr schwindet sie mehr dahin, wie Gesichter von geliebten Dahingeschiedenen sich uns nur noch in Träumen zeigen und immer mehr verblassen, während das grausame Alter uns beschleicht.«
»Baron«, sagte Zakath etwas stockend, »Eure Worte haben mich tief berührt. Wenn ich die Macht habe – und ich habe Macht –, werde ich Euch zu einem etwas späteren Zeitpunkt nach Vo Mimbre bringen und Euch dem Hof vorstellen, damit wir Euch mit Eures-gleichen wiedervereinen.«
»Siehst du«, murmelte Garion seinem Freund zu, »es ist anstek-kend.«
Der Baron wischten sich unverhohlen die Augen. »Ich sehe hier Euren Hund, Herr Ritter«, wandte er sich an Garion, um seine Verlegenheit zu überwinden, »eine Hündin, wie ich bemerke…«
»Ruhig!« warnte Garion die Wölfin.
»Ich bin kein Hund!« protestierte sie aufgebracht.
»Sie ist von schlanker, anmutiger Gestalt«, fuhr der Baron fort,
»und ihre Augen verraten eine Klugheit, die weit über jene der armen Straßenhunde hinausgeht, von denen es in diesem Königreich unzählige gibt. Würdet Ihr mir sagen, welche Rasse sie ist?«
»Sie ist eine Wölfin, Baron«, antwortete Garion.
»Eine Wölfin!« rief der Baron und sprang erschrocken auf. »Wir müssen fliehen, ehe diese furchtbare Bestie uns anfällt und verschlingt!«
Garion fand es zwar als Angeberei, aber da es den Baron
beeindrucken mochte, legte er die Hand auf den Kopf der Wölfin und kraulte sie zwischen den Ohren.
»Ihr seid unbeschreiblich mutig!« staunte der Baron.
»Sie ist meine Freundin, Baron«, erklärte ihm Garion. »Wir sind auf eine Art miteinander verbunden, wie Ihr sie Euch nicht vorzustellen vermöchtet.«
»Ich rate dir, damit aufzuhören«, warnte ihn die Wölfin, »oder kannst du eine Hand entbehren?«
»Du würdest es nicht wagen!« rief er und zog hastig die Hand zu-rück.
»Aber ganz sicher bist du dir nicht, oder?« Sie fletschte die Zähne zu einer Art Grinsen.
»Ihr sprecht die Sprache der Tiere?« keuchte der Baron.
»Nur von ein paar Arten, Baron«, entgegnete Garion. »Jede Art hat ihre eigene Sprache, müßt Ihr wissen. Die Sprache der Schlange beherrsche ich noch nicht. Ich glaube, das liegt an der Form meiner Zunge.«
Der Baron lachte plötzlich. »Ihr seid ein pläsierlicher Mann, Herr Ritter. So viel habt Ihr mir zum Nachdenken und zum Staunen gegeben. Doch nun zu meiner Frage: Was könnt Ihr mir über Eure hehre Aufgabe sagen?«
»Laß Vorsicht walten!« warnte die Wölfin.
Garion überlegte. »Wie Ihr vielleicht wißt, Baron«, begann er, »ist das Böse nun in der Welt unterwegs.« Das war verhältnismäßig unverfänglich, schließlich war immer Böses auf der Welt unterwegs.
»Wahrlich!« bestätigte der Baron inbrünstig.
»Mein wackerer Gefährte und ich haben geschworen, dieses Böse zu stellen. Wisset jedoch, daß Gerüchte uns wie bellende Hunde vorauseilen und unsere Namen – würden sie bekannt – dem gemeinen Schurken mitteilen würden, den zu bekriegen wir bedacht sind.
Sollte dieser schreckliche Feind von unserem Kommen erfahren, würde er seine Knechte ausschicken, uns einen Hinterhalt zu stellen.
Dies ist der Grund, weshalb wir unsere Gesichter hinter Visieren verbergen und der Welt unsere Namen verschweigen müssen – die in diversen Teilen der Welt wohlbekannt sind.« Garion begann diese Rolle zu genießen. »Wir, das gilt für ihn wie für mich, fürchten gar nichts, was da kreucht und fleucht.« Nicht einmal Mandorallen hät-te es überzeugteren Tones zu sagen vermocht. »Doch haben wir liebe Gefährten bei uns, deren Leben wir nicht gefährden dürfen. Davon zu schweigen, ist unsere Aufgabe durch Zauber arg bedroht, der unseren Kräften ebenbürtig scheint. Deshalb und obgleich es uns zutiefst mißfällt, müssen wir uns diesem
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