Seherin von Kell
erschreckende Vorstellung.«
»Wohlüberlegt kundschafteten Eure Streiter die Umgebung des Dorfes«, hörten sie Belgarath eben sagen, »und so erspähten sie alsbald den Drachen, der sich den Bauch mit den Kadavern einer Herde Pferde vollschlug.«
»Ich habe nur eines gesehen«, wisperte Zakath.
»Um seine Geschichten aufregender zu machen, schmückt er sie gern aus«, flüsterte Garion zurück.
Belgarath war bereits selbst hingerissen von seiner Geschichte.
»Auf meinen Rat«, fuhr er bescheiden fort, »hielten Eure Streiter inne und machten sich ein Bild der Lage. Wir bemerkten sogleich, daß die Aufmerksamkeit des Drachen voll und ganz seinem gräßlichen Schmaus galt, und gewiß schon allein aufgrund seiner Größe und Wildheit hatte er es nie nötig gehabt, wachsam zu sein. Die Recken teilten sich und machten einen Bogen um das fressende Ungeheuer, um es von zwei Seiten gleichzeitig anzugreifen, in der Hoffnung, ihm ihre Lanzen bis tief in seine Eingeweide stoßen zu können. Vorsichtig, Schritt um Schritt, näherten sie sich ihm – denn obgleich unvorstellbar mutig, sind sie keineswegs unbedacht.«
Es herrschte tiefes Schweigen im Thronsaal, während alle schier atemlos dem alten Mann mit der gleichen Faszination lauschten, wie Garion sie zum erstenmal im Speiseraum von Faldors Gehöft erlebt hatte.
»Trägt er nicht etwas dick auf?« flüsterte Zakath.
»Es ist zwanghaft bei ihm«, erwiderte Garion leise. »Großvater konnte eine gute Geschichte nie allein auf ihren eigenen Werten be-ruhen lassen. Er hat immer das Bedürfnis, sie künstlerisch zu ver-vollkommnen.«
Da er nun sicher war, daß er die volle Aufmerksamkeit seiner Zuhörer hatte, begann Belgarath sich all der Kniffe und Finessen der Kunst des Geschichtenerzählens zu bedienen. Er änderte Tonlage und Lautstärke und Kadenzen. Manchmal sank seine Stimme zum Wispern. Er genoß es ganz offensichtlich. Er beschrieb die gleichzei-tigen Angriffe der hehren Recken auf den Drachen in glühenden Einzelheiten. Er erzählte von dem ersten Rückzug des Drachen, füg-te ein geschickt erfundenes Triumphgefühl in den Herzen der beiden Ritter hinzu, als sie vermeinten, sie hätten dem Ungeheuer mit ihren Lanzen tödliche Verletzungen zugefügt. Obwohl letzteres nicht so ganz stimmte, trug es doch zur Erhöhung der Spannung bei.
»Diesen Kampf hätte ich auch gern gesehen«, murmelte Zakath.
»Unserer war viel prosaischer.«
Der alte Mann fuhr fort mit des Drachen rachsüchtiger Rückkehr, wobei er, um die Spannung noch zu erhöhen, bei der Todesgefahr, in der Zakath geschwebt hatte, besonders dick auftrug. »Und dann, ohne auf die Gefahr für sein eigenes Leben zu achten, stürzte sein wackerer Gefährte sich ins Getümmel. Voll Angst, sein Freund kön-ne bereits todbringende Verletzungen davongetragen haben, und voll gerechten Zornes, warf er sich mit grimmigen Streichen seiner mächtigen Klinge geradezu in den Rachen der Bestie.«
»Waren das wirklich deine Gefühle?« fragte Zakath Garion.
»So ungefähr.«
»Und dann«, sagte Belgarath, »obgleich es ein Trick des flackerndes Lichtes aus dem brennenden Dorf gewesen sein mag, war mir, als stünde des Helden Klinge in Flammen. Wieder und immer wieder hieb er damit auf das Untier ein, und jeder Streich wurde mit Schwall um Schwall hellen Blutes belohnt. Und dann, Entsetzen über Entsetzen, schmetterte ein unglücklicher Schlag des Drachen gewaltiger Klaue den Helden nach rückwärts, er stolperte und fiel –
geradewegs auf seinen Gefährten, der sich noch vergebens abmühte, auf die Füße zu gelangen.«
Ein Stöhnen des Schreckens erhob sich aus der Menge im Thronsaal, obwohl die Anwesenheit der beiden Helden deutlich genug bewies, daß sie überlebt hatten.
»Ich will nicht verhehlen«, fuhr Belgarath fort, »daß ich tiefste Verzweiflung empfand. Doch als der wilde Drache ansetzte, unsere Helden zu töten, stieß der eine – seinen Namen darf ich nicht sagen
– sein flammendes Schwert ins Auge des abscheulichen Ungeheuers.«
Ein stürmischer Beifall setzte ein.
»Kreischend vor Schmerzen begann der Drache zurückzuweichen.
Unsere Recken nutzten diese Gelegenheit, auf die Füße zu kommen.
Und welch eine mächtige Schlacht hob nunmehr an.« In ausgefeilten Einzelheiten beschrieb Belgarath mindestens zehnmal mehr
Schwerthiebe, als Garion und Zakath wirklich ausgeteilt hatten.
»Wenn ich mein Schwert so oft geschwungen hätte, wäre mir bestimmt der Arm abgefallen«, flüsterte
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