Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)
hatte den Boden mit getrocknetem Gras und Moos ausgelegt, auf einem steinernen Absatz lag sorgsam gefaltet eine wollene Decke.
Umgehend hielt Avel sie ihr entgegen. »Das ist nicht die Decke, die Mama sucht. Die sieht nur so aus, die hat ein Ritter mit goldenem Helm gebracht, und sein Pferd hatte Flügel. Singen konnte es auch.«
Catheline bemühte sich, ernst zu bleiben, als Avel bekräftigend nickte. »Natürlich. Das ist ein Ort, an dem einem solche Ritter begegnen. Und du hast ihn dir sehr schön hergerichtet.«
»Sieh mal«, Avel griff neben sich und zog unter dem Moos eine kleine Holzfigur hervor. Eine Figur, nicht länger als seine Handfläche, deren Gesicht nur angedeutet war. Tatsächlich war der Mund zum Lachen geöffnet, und zwei winzige Löcher deuteten die fehlenden Schneidezähne an. Alles an dieser Figur war derart liebevoll gearbeitet, dass es das Herz erwärmte. Der Leib war schmalgliedrig geformt, genauso zerbrechlich, wie Blanche stets wirkte.
»Wie hast du das hinbekommen?«, fragte Catheline und nahm behutsam die Figur aus Avels Hand. Das Holz war so glatt geschliffen, dass es sich nahezu weich anfühlte.
»Das hier«, noch einmal langte Avel neben sich, »hat Raymond gemacht und mir mal geschenkt.« Er hielt einen gebogenen Eisenhaken in die Höhe, denen ähnlich, die Catheline bei einem fahrenden Löffelmacher gesehen hatte, der vor zwei Sommern seine Waren im Dorf angeboten hatte. »Die Mama darf natürlich nicht wissen, dass ich so einen Haken habe, sie sorgt sich sonst wieder. Aber wenn die Figur fertig ist, schenke ich sie ihr. Das soll nämlich Mama sein.«
»Weißt du, wo Raymond ist? War er hier, bei dir und dem Ritter?«
Kopfschüttelnd ergriff Avel einen Schachtelhalm und zog ihn über das Holz. »Das benutze ich zum Schleifen, so wird es ganz glatt. Aber das weiß auch niemand.«
»Du hast anscheinend viele Geheimnisse.«
»Ja«, ernst sah er sie an, »und bitte verrate sie niemandem.«
Catheline erhob sich. »Versprochen. Aber jetzt komm, wir müssen zurück, es wird bald dunkel, und zudem ist es zu kalt, um länger zu verweilen.«
Avel nickte, griff sich die Figur, den Haken samt Schachtelhalm und schob alles wieder unter die Moosdecke, strich sie glatt und folgte ihr.
Kaum hatten sie den Weg erreicht, der zum Dorf führte, sahen sie einen Reiter nahen. Auch auf die Entfernung hin erkannte Catheline, dass es sich um Mathis handelte. Er reitet. Er reitet wieder. Ist das ein gutes Zeichen?, überlegte sie und konnte nicht aufhören hinzusehen. Zu sehen, wie sein Oberkörper auf und ab wippte, wie er die Zügel hielt, wie sein Atem in der kalten Luft in die Höhe trieb.
Als er abstieg, wischte Catheline sich kleine Flocken vom Umhang. Seinen Blick, den sie auf ihrem Gesicht spürte, wollte sie nicht erwidern. Aus den Augenwinkeln nahm sie wahr, dass er den Kopf schüttelte. Sie senkte die Lider vor Scham. Sobald Mathis in der Nähe war, kreisten ihre Gedanken nur um ihn. Als würde hinter seinen Schultern die Welt versinken.
Dabei war sein Kopfschütteln Antwort auf eine von ihr nicht gestellte Frage: Nichts hatte er in Erfahrung bringen können über Raymonds Verschwinden. Mathis verlor kein Wort darüber, denn er wollte Avel nicht beunruhigen, der die Zügel ergriffen hatte und das Pferd führte. Als der Junge außer Hörweite war, sagte er leise: »Ich fürchte mich, Marie gegenüberzutreten. Die Spielleute sind gastfreundlich gewesen. Nette Menschen, die mich verköstigt und mir eine Schlafstätte auf einem ihrer Wagen angeboten haben. Sie haben Raymond nicht gesehen, er ist ihnen nicht einmal aufgefallen in all demTreiben, das sich während des Festes um das Schloss herum abgespielt hat.«
»Warum sind sie so schnell weitergezogen?«
»In Nantes wird in den kommenden Tagen ebenfalls eine große Festlichkeit stattfinden, irgendeine Zunft feiert. Wegen des widrigen Wetters wollten sie sich genug Zeit für die Fahrt dorthin nehmen.«
Die Schmiede erschien in Cathelines Blickfeld. Dort, vor der Hütte, in der Kälte stand, den Umhang eng um sich gezogen, Marie. Sie trug keine Haube, und durch ihr schwarzes, schwer herabhängendes Haar spielte der Wind. Es war, als hätte ihr jemand von Mathis’ Ankunft berichtet. Die Tatsache, dass er sie nicht ansah, war Botschaft genug. Marie nickte nur und verschwand in der Hütte.
Yann, der aus dem überdachten Stand der Schmiede heraus alles verfolgt hatte, nahm mit der Zange ein glühendes Stück Eisen vom Amboss und drehte
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