Sehnsucht
zum Badezimmer zu überqueren.
Er blieb länger als notwendig unter dem beruhigenden Wasserstrahl und wusch sich den Schweiß und Schmutz des Nachmittags ab, während er nachdachte. Er fragte sich, wie er mehr über Bos Gefühle herausfinden konnte, ohne dass dieser sich zurückzog oder davonlief.
Während des Abendessens schwieg Sam die meiste Zeit. Er wusste, dass die anderen es bemerkten. Aber er konnte sich nicht einmal ihnen zuliebe dazu aufraffen, sich an den Gesprächen und Spekulationen über das Haus zu beteiligen.
Seit er heute Nachmittag die endlose Traurigkeit in Bos Augen wahrgenommen hatte, drehte sich Sams Welt nur noch darum, ihm zu helfen. Er wollte sehen, wie dieser tiefe Schmerz durch Glück ersetzt wurde. Und er wollte derjenige sein, der diese Veränderung in Bo hervorrief. Ein Teil von ihm zweifelte nicht daran, dass es möglich war. Er musste nur Bo davon überzeugen.
Du denkst gerade daran, eine Familie zu zerstören , flüsterte eine kleine Stimme in seinem Hinterkopf. Was gibt dir das Recht dazu?
Das konnte er nicht beantworten. Er wusste nur, dass Bo sich seiner inneren Wahrheit stellen musste, bevor er mit sich und seinem Leben im Reinen sein konnte. Genau wie Sam sich vor all den Jahren seiner Wahrheit hatte stellen müssen. Nicht nur seiner Sexualität, sondern auch der Andersartigkeit, die er immer in sich gespürt hatte und die ihn stets von anderen Menschen unterscheiden würde.
In seiner Jugend war es noch ausgeprägter gewesen, da Kinder sehr viel sensibler als Erwachsene auf diese Dinge reagierten. Aber es war noch immer da. Sam hatte sich schon vor langer Zeit mit einem Leben in emotionaler Isolation abgefunden.
Er hatte sich über die Jahre an den Gedanken gewöhnt und es machte ihm nicht mehr viel aus. Bo bei seinem inneren Kampf mit seiner eigenen Identität zuzusehen, ließ die Erinnerung an die turbulenten Jahre wieder in ihm aufsteigen. Er wollte helfen, einfach nur, weil er Zuneigung für Bo empfand.
Wenn Bo seine Gefühle nicht erwiderte, würde es zwar wehtun, aber er würde damit klarkommen, wie er es immer getan hatte. Seine Intuition, auf die er sich eigentlich immer verlassen konnte, sagte ihm, dass er die Situation nicht missverstanden hatte und Bo genauso fühlte. Das Einzige, was ihrer Zweisamkeit im Weg stand, war Bos Angst und sein Pflichtbewusstsein gegenüber seiner Frau.Eine Beziehung. Das war es, was er mit Bo in Betracht zog. Er hatte noch nie zuvor eine Beziehung geführt. Selbst seine Familie hatte ihn immer auf Armeslänge gehalten und er war noch nie länger mit einem Partner zusammen gewesen als für gelegentlichen, unverfänglichen Sex.
Die Konsequenzen dessen, worüber er nachdachte, trafen ihn wie ein Schlag in die Magengrube und ließen seine Eingeweide mit einer Mischung aus Aufregung und lähmender Angst krampfen.
Sam schob seine nur halb aufgegessenen Spaghetti von sich. Sein Appetit war schlagartig verschwunden.
Bo sah ihn besorgt an. »Sam, geht's dir gut? Du bist so blass.«
Sam zwang sich, zu lächeln. »Ich bin immer blass, das ist meine natürliche Färbung.«
»Was Mr. Taktvoll hier zu sagen versucht«, mischte sich David ein, während er auf einem Stück Knoblauchbrot herumkaute, »ist, dass du grün um die Nase bist. Übergib dich bitte nicht auf den Tisch, ja?«
Cecile schlug David spielerisch auf den Arm. Er sah sie fragend an. Sie runzelte die Stirn und drehte sich zu Sam um. »Du siehst wirklich etwas kränklich aus, Sam. Bist du wirklich sicher, dass es dir gut geht?«
»Ich bin okay«, antwortete Sam ruppiger als gewollt. »Ich bin nur satt, das ist alles.«
Cecile blinzelte und senkte den Blick auf ihren Teller. Sie war offensichtlich erschrocken über die Art, wie er sie angefahren hatte. Sam tat es im gleichen Moment wieder leid, aber er sagte nichts. Die Blicke voller Besorgnis vom Rest der Gruppe waren ihm merklich unangenehm.
Bo räusperte sich. »Andre, seid ihr mit dem Durchsehen der Videos von letzter Nacht fertig geworden?«
Andre blickte zu Sam herüber, bevor er antwortete. Sam lächelte ihn – wie er hoffte – beschwichtigend an. Er atmete erleichtert aus, als Andre das Lächeln erwiderte und seine Aufmerksamkeit dann auf Bo richtete.
»Jap, wir sind fertig«, sagte Andre. »War nichts drauf. Auf den Kinderzimmerbändern war seit der ersten Nacht nichts mehr.«
»Vielleicht sollten wir aufhören, hier drinnen zu filmen.« David drehte seine Gabel in den Spaghetti. »Die Bänder für andere Sachen
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