Sehnsucht
Er hatte seit einer Woche keinen seiner Kollegen gesehen. Seit sie die Erlaubnis bekommen hatten, Gautier zu verlassen.
Er war auf direktem Weg vom Motel zu dem Apartment in Mobile gefahren, das er Wochen zuvor gemietet, aber noch nie gesehen hatte. Die letzten neun Tage hatte er damit verbracht, Einkäufe zu erledigen und mit etwas gebrauchter Einrichtung die Wohnung in ein Zuhause zu verwandeln. Glücklicherweise war das keine schwere Aufgabe gewesen.
Sam hatte kaum Ansprüche gehabt, als er die Wohnung gemietet hatte. Es musste schließlich schnell gehen. Das Apartment war frei und die Miete akzeptabel, also hatte er es genommen ohne sich darüber Gedanken zu machen, wie es aussah.
Er hatte ein kleines, aber wunderschönes Einzimmerappartement vorgefunden, das im zweiten Stock eines umgebauten Herrenhauses aus dem neunzehnten Jahrhundert lag. Mit seinen Massivholz-Parkettböden und großen Fenstern, durch die man auf eine enge, von Bäumen gesäumte Straße hinausblickte, war es Liebe auf den ersten Blick gewesen.
Er hatte gerade das letzte Möbelstück ins Appartement geschleppt. Es hätte eigentlich eine Erleichterung sein sollen, die Arbeit abzuschließen, aber das war nicht der Fall gewesen. Nicht, wenn er nichts übrig hatte, um seine Gedanken zu beschäftigen.
»Denk nicht dran«, befahl er sich selbst, als all die unbeantworteten Fragen begannen, in sein Ohr zu flüstern. Er warf einen Blick auf die Uhr. »Geh und mach Abendessen. Es ist nach sieben.«
Sich selbst zunickend, rappelte er sich hoch und ging in die Küche.
»Ja, Abendessen. Das ist die Idee. Eine Tiefkühlpizza vielleicht. Und ein Bier.« Er lachte. »Und hör verdammt noch mal auf, mit dir selbst zu reden.«
Leichter gesagt, als getan. Sam lächelte bitter.
Seit er Gautier verlassen hatte, führte er ständig Selbstgespräche. Teilweise, weil es die Dinge übertönte, über die er nicht nachdenken wollte. Aber auch, weil er es zum ersten Mal in seinem Leben vermisste, jemanden zum Reden zu haben. Er hatte unter den Mitgliedern von Bay City Paranormal Investigations Freunde gefunden und ihre Abwesenheit ließ einen leeren Fleck in seinem Leben zurück.
Sam hatte während ihrer Zeit im Motel nicht viel mit Bo, David oder Andre gesprochen. Bo und David waren abwechselnd bei Andre geblieben, damit er nicht allein blieb. Die Trauer um Amy hatte die drei noch enger zusammengeschweißt.
Sam missgönnte ihnen diese Zeit nicht. Er verstand, dass sie das alle brauchten. Er und Cecile waren sich auf ihre eigene Art nähergekommen. Sie verbrachten Stunden damit, über die Ereignisse in Oleander House zu sprechen, in dem Versuch, sie zu ergründen. Sie schafften es aber nur, noch mehr Fragen aufzuwerfen, die sie ebenso wenig beantworten konnten.
Der Gedanke an seine Gespräche mit Cecile rief die Erinnerungen an Oleander House und das, was dort passiert war, hervor. Die Träume, das Ding, das er gerufen hatte und dem er sich schließlich gestellt hatte. Amys lebloser Körper in Andres Armen. Das Gefühl, wie Bo sich unter ihm wand. Bos Mund, offen und hungrig auf seinem…
Das vorsichtige Klopfen an seiner Tür war eine willkommene Ablenkung von seinen Erinnerungen, die ihn nicht in Ruhe lassen wollten.
»Komme schon!«, rief er.
Die letzte Person, von der er erwartet hatte, sie im Flur stehen zu sehen, war Bo. Sam blinzelte. Er war vor Überraschung wie erstarrt.
Bos Mundwinkel zogen sich in einem unsicheren Lächeln nach oben. »Hi, Sam. Kann ich reinkommen?«
Sam machte ihm wortlos Platz. Bo schob sich mit hängenden Schultern an ihm vorbei, die Hände in den Taschen vergraben. Seine Augen waren rot gerändert und geschwollen und unter ihnen zeichneten sich dunkle Ringe ab.
Sam sehnte sich danach, ihn zu umarmen, sein Haar zu streicheln und ihn zu trösten. Aber er wagte es nicht. Wenn es eine Sache gab, die Sam im letzten Monat gelernt hatte, dann dass Bo es vorzog, alleine zu trauern.
»Also«, sagte Sam, der seine Stimme wiedergefunden hatte. »Was gibt's denn?«
Bo sah aus dem Fenster und leckte sich über die Lippen. Plötzlich erkannte Sam, dass Bo nervös war.
»Wir hatten nie wirklich die Gelegenheit, zu reden«, begann Bo. »In Gautier, meine ich. Danach .«
Oh. Das.
Sam schluckte.
Seine Nerven lagen blank.
»Nein, die hatten wir nicht.« Er machte eine Geste in Richtung des abgewetzten Sofas und dem nicht dazu passenden Sessel. »Setz dich. Willst du was trinken oder so?«
»Nein, danke.« Bo setzte sich steif auf
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