Sehnsucht FC Bayern
schließlich Perspektiven.
Was das alles mit meiner Abonnenten-Zeit von 1983 bis 1985 zu tun hat? Nun, wie ich mittlerweile erfahren habe, kosteten mich diese zwei Jahre gute 900 Plätze auf der Mitgliedsliste. Das sind Probleme! Na ja, nicht wirklich. Übrigens, die Nummer eins beim FC Bayern ist stets ein äußerst betagter Herr in einem Alter, bei dem schon nicht mehr der Bürgermeister, sondern der Ministerpräsident gratuliert. Innerhalb des Clubs gilt die Nummer eins fast schon als Promi, dessen Namensnennung auf der Jahreshauptversammlung stets ein anerkennendes Raunen auslöst. Leider wechselt dieser Name meist allzu rasch wieder …
Im März 1986 stand das erste Auslandsspiel auf dem Programm. Einen Tag nach meinem 18. Geburtstag beschenkte mich der UEFA-Spielplan mit meinem 25. Bayern-Spiel. Ein Jubiläum sozusagen, das mich zusammen mit einer Handvoll »Elche« nach Brüssel, genauer gesagt zum Halbfinal-Rückspiel im Europapokal der Landesmeister gegen den RSC Anderlecht führte. Das war nun wirklich ganz große Fußballbühne. Dass wir die Reise von Köln aus mit dem Zug unternahmen, lasse ich als Eingeständnis dafür gelten, dass unsere Fanclub-Gründung leider noch nicht zündete. Niemand von uns besaß bereits ein Auto.
Vor Ort in Belgien: Eine völlig andere Atmosphäre am und im Stadion, als ich es bisher aus Deutschland gewohnt war. Die durch die Heysel-Katastrophe nervös agierende Brüsseler Polizei, das altersschwache Flutlicht im baufälligen Vandenstock-Stadion und der eingepferchte Stehplatz im Bayern-Block verlieh der ganzen Szenerie ein unwirkliches Fluidum. Doch gerade das machte Appetit auf mehr. Ich war angekommen und endlich da, wo ich als Fan hin wollte. Das waren keine Abende mehr vor dem Fernseher und zeitigem Ins-Bett-Gehen wegen Unterrichts am nächsten Tag. Das hier, das war ein Alltagsabenteuer mit ungewissem Ausgang. Ich malte mir bereits aus, wie ich am nächsten Tag in der Schule ein cooles: »Ach übrigens, ich war gestern beim Spiel«, lässig über die Lippen bringen würde.
Anderlecht gewann mit 2:0 und warf den FC Bayern aus dem Wettbewerb. Die Niederlage ließ die belgische Polizei nach Spielschluss noch nervöser werden, und ich lernte, was eine Blocksperre ist.
Wie sich nach Spielschluss ein großes Stadion leert, ist ohnehin schon ein merkwürdiger Vorgang. Erst recht nachts. Die vieltausendfache Spannung entlädt sich anfänglich und je nach Standpunkt noch in Triumphgeheul oder Trauer, ebbt dann mit dem Abwan dern des Publikums doch relativ schnell ab, und es beginnt das Aufräumen im Innenraum und das Schließen der Zuschauerblöcke. Aller Zuschauerblöcke? Nein, nicht der mit den Gästefans. Die müssen bleiben. Ihr Block wird sogar noch zugesperrt. Das kann bis zu 45 Minuten dauern. Ein völlig leeres und auch leises Stadion. Und ein Zuschauerblock ist bis zum Bersten gefüllt. Das ist fast schon gespenstisch. Es bedarf nicht viel Fantasie sich vorzustellen, welch aggressive Spannungen da entstehen. Insbesondere nach einer solch entscheidenden Niederlage.
Die Polizei in Anderlecht reagierte auf ihre Weise. In geschlossener Formation und ohne Chance auf Entkommen ging es irgendwann unter hundertfachem Geleitschutz zum nahegelegenen Bahnhof. Blaulicht vorneweg und 500 grölende Bayern-Fans dahinter. Den Anwohnern wurde hinter ihren Wohnzimmerfenstern wirklich was geboten. Im Bahnhof wartete der Sonderzug aus München. Wir stiegen ein. Was blieb uns auch anderes übrig? Nächtliches Diskutieren mit behelmten und martialisch aufgerüsteten Polizisten? Das versucht bitte mal. Es war nur unserem naiven Anfängerglück zu verdanken, dass der Sonderzug den Weg über Köln nahm und tatsächlich auch im Hauptbahnhof hielt. Wir waren wieder zu Hause. Die Straßen leer, alles schlief, aber wir – wir hatten etwas erlebt!
Der sportliche Erfolg des FCB forderte seinen Tribut und hielt uns auf Trab. Wir hatten Blut geleckt. Sechs Tage später stand gleich schon das nächste Halbfinale auf dem Programm: DFB-Pokal gegen Waldhof Mannheim im Südwest-Stadion von Ludwigshafen. Wer Anderlecht macht, für den ist Ludwigshafen doch Kindergeburtstag. Oder? Diesmal gewannen wir mit 2:0. Der Einzug ins Pokalfinale in Berlin war perfekt. Es gab nach Schlusspfiff zwar keine Blocksperre, aber dafür ein anderes Problem – keinen sofortigen Nachtzug zurück nach Köln! Nun hieß es vier Stunden warten.
Was macht man nachts auf fremden Bahnhöfen, wenn man gelangweilt und
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